Donnerstag, November 30, 2006

Wir gingen in hohen Tempo über die Pflastersteine des Kirchenplatzes. Der Himmel war mittlerweile leicht bewölkt. Der Mond schimmerte durch die Wolkendecke. Für die späte Stunde war es aber ungewöhnlich hell. Das Licht der Stadt wurde von den Wolken zusätzlich reflektiert und färbte die Nacht silbrig-orange. "Wer ist Walter?" wollte ich von der rothaarigen Frau wissen. "Nicht wichtig." sagte sie kurz.
"Und wohin gehen wir? Ich muss nämlich bald nach Hause." sagte ich und kam mir dabei ziemlich albern vor. Ich war eigentlich aus dem Alter heraußen, in dem man zu einer bestimmten Uhrzeit daheim sein muss.
"Wir sind schon da." erwiderte sie kurz.
Wir kamen nach ein paar Schritten vor einem Haus zu Stehen. Die Frau blickte mich erneut an. Doch in ihren bis jetzt eher verfahrenen, eigentlich geistesabwesenden Blick trat ein wacherer Ausdruck. Die Anspannung schien aus ihr zu weichen. Sie lächelte leicht betreten, wich meinem Blick aus.
"Entschuldigen Sie. Das war jetzt wahrscheinlich ein bisschen aprupt. Hoffentlich bringe ich sie nicht in Schwierigkeiten."
Leider hatte ich keinen Instinkt, der mich vor Situationen warnte, denen man als vernünftiger Erwachsener aus dem Weg ging. Oder anders gesagt: Wahrscheinlich brauchte ich solche Situationen. Als Augenöffner. Da ich soviel mit abstrakten Informationen und Daten zu tun hatte, musste sowas passieren, um mich mit der Materialität und Echtheit meines Lebens in Verbindung zu bringen. Vielleicht war dieses Fehlen des Instinktes aber auch einfach nur eine evolutionäre oder genetische Schwachstelle in mir.
"Ich muss wirklich ein bisschen durchgeknallt auf sie wirken..." fuhr die Frau fort. "Aber mein Tag war etwas anstrengend. Da wird man schnell komisch."
Ich nickte. Die absolute Nichtabsehbarkeit der nächsten Momente versetzte mich in große Spannung. Die Frau war sehr attraktiv, wie ich erneut feststellte. Jeder Mann wäre wahrscheinlich gerne von ihr in Etwas verwickelt worden.
"Wie kann ich ihnen denn helfen?" wollte ich nun endlich wissen.
Die Frau holte tief Luft und sah mich mit großen Augen an. Eine Woge von Hitze stieg in mir empor. Ich wich ihrem Blick aus.
"Also. Oft, wissen sie, wage ich es nicht, alleine nach Hause zu gehen. Es leben ein paar seltsame Typen in der Gasse."
Sie blickte mit einem unsicheren Blick über die Reihe an verdunkelten Fenstern der umliegenden Wohnhäuser, wo absolut niemand mehr wach zu sein schien.
"Ich brauchte jemanden, der mich begleitet."
"Das hätten sie aber auch gleich sagen können." Ich war überrascht, dass ich so vertrauenserweckend aussah.
"Und wenn ich ihnen den zweiten Grund sage, wären sie sicher nicht mitgekommen..." fuhr sie fort. Dabei wirkte sie so, als wäre es ihr selbst peinlich.
"...aber, jemand anderes muss mit dem Schlüssel das Haustor aufsperren. Immer wenn ich es öffnen will, geht es nicht. Blöd nicht?"
Zum Beweis zog sie den Schlüssel aus ihrer Lederhandtasche, steckte ihn in das Schloss der Türe und versuchte ihn herumzudrehen. Nichts passierte.
"Es geht einfach nicht." Sie lachte. Der Klang dieses Lachens schien wie ein eiskalter, oder feurig heißer Tropfen in meine Seele zu tropfen. Der Klang hinterlies einen langen Nachhall. Er löste etwas aus. Es war, wie der Moment, bevor ein Steinhaufen auseinanderbricht. So ähnlich.
"Bitte machen Sie´s."
Sie hielt mir den Schlüssel hin.
Ich nahm ihn und führte ihn langsam in das Schloss. Es schnappte. Mit einem Klacken und einem leichten Druck sprang die schwere Holztür des Hauses einen Spalt auf. Dahinter Schwärze.
"Danke."hauchte sie. In ihrem Gesicht lag nun ein verschmitzter, hellwacher Ausdruck. "Das war sehr nett." Sie zog den Schlüssel ab und lies ihn in ihrer Tasche verschwinden.
"Wie heißen Sie eigentlich?" wollte ich wissen.
"...Ella." sagte sie und "Bis zum nächsten Mal."
Dann verschwand Ella in dem Haus und die Tür hinter ihr ging zu. Ich machte mich schleuningst am Heimweg und scheuchte die Gedanken an die seltsamen Typen in dieser Gegend energisch weg.

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