Donnerstag, Dezember 06, 2012

Still


Daheim. Leise wollte ich den Schlüssel in das Türschloss schieben und öffnen. Offenbar schliefen zuhause schon alle. Alle - das waren meine Frau und meine zwei Töchter. Von der Strasse aus war zuvor zu sehen, dass im Wohnzimmer kein Licht mehr brannte. Das war ungewöhnlihch. Denn üblicherweise war auch in der Nacht eine kleine Lampe eingeschaltet. Aber heute, jetzt, in dieser Nacht, war alles finster. Nur die kahlen, schwarzen Äste der Bäume warfen ihre langen Schatten auf die Hausmauer - zerhackt allerdings, denn die Strassenbeleuchtung  war offenbar defekt und flackerte auf, dann wieder erlosch sie gänzlich. Zudem tanzten die Strassenleuchtkörper unruhig im Wind, der an den Stromleitungen zerrte. Das Zwitschern eines Vogels hallte durch die Strassen. Seltsam, zu so später Stunde.
Auch im Stiegenhaus flackerte die Beleuchtung. Möglichst leise näherte ich mich der Wohnungstür. Irgendwo weiter unten war ein Streit zu hören. Eine laute Frauenstimme in fremder Sprache. Dazwischen das aufgeregte Gemurmel eines Mannes.
Der Schlüssel ließ sich nicht in das Schloss drücken. Ich versuchte es mehrmals. Erfolglos. Dann ging auch noch das Licht aus. Vorsichtig und langsam schob ich Fuß vor Fuß vorwärts zum Lichtschalter. Doch das Licht ging auch nicht mehr an. Luft holen. Atmen. Lauschen. Kein Geräusch. Auch kein Streit mehr weiter unten.
Ich wagte es nicht, zuhause alle aufzuwecken. Ich hätte einen Erklärungsbedarf, wo ich den Abend verbracht hatte. Aber ohne plausible Geschichte. Dann vor den Kindern herumstammeln. Möglicherweise an der Wohnungsglocke solange zu läuten, bis das halbe Haus aufgewacht war. Nein. Manchmal ist Rückzug klüger. Planlos tastete ich mich weiter zum Lift. Wenigstens der funktionierte noch. Ich fuhr wieder ins Erdgeschoß und trat ins Freie. Genau jetzt vermisst mich niemand, dachte ich mir. Ich hatte noch Ellas Telefonnummer in der Jackentasche. Aber ich konnte sie unmöglich jetzt anrufen.
Die Strasse war menschenleer. Am anderen Ende der Strasse leuchtete eine rote Lichterkette. Das Surren einer Klimaanlage war bis zu mir zu hören. Der Eingang in ein Bordell. Dahinter die Nutten bei ihrer Nachtschicht, in kleinen Kammern an Männerkörpern arbeitend. Ich ging weiter, ließ mich vom Wind antreiben und wollte die Gelegenheit nutzen, um ein wenig über mich und Ella und den Rest meines Lebens nachzudenken. Und vielleicht doch, um herauszufinden, was es mit dieser Telefonnummer auf sich haben könnte.







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