Montag, Dezember 11, 2006

Erwachen

Der nächste Morgen war etwas verstörend. Im Kopf hing mir noch ein seltsamer Traum nach, der keine Bilder in mir hinterlassen hatte, dafür aber, so fühlte es sich an, die Hälfte meines Bewusstseins scheinbar gefangen hielt. Ich blinzelte in den Tag hinaus, erhob mich ächzend und bemerkte, dass mein Körper wiederstandslos tat, was ich mir eben wollte, dass er tun sollte. Aber trotzdem war ich irgendwie auch nicht da. So ist das eben manchmal. Annabell schien nichts davon zu bemerken. Sie flitzte schon aufgeweckt durch die Wohnung. Auch unsere Tochter schien nichts von meiner seltsamen zweiten Welt, in der ich mich gerade befand mitzubekommen.
Mein Geist war da, und auch nicht. Irgendwie glaubte ich plötzlich, dass ich immer noch in der Kathedrale stand. Obwohl alle meine Sinne mir mitteilten, dass ich in meinem Zuhause war.
Soetwas konnte manchmal vorkommen. Ich kannte solche seltsamen Zustände. Allerdings hatten sie meist damit zu tun, dass ich in den Tagen davor irgendwelche Drogen konsumiert hatte. Aber das tat ich schon lange nicht mehr. "Wer ist Walter?" hatte jemand gefragt.
"Was sagts du?" fragte mich meine Frau. Meine echte Frau. In der echten Welt. Nichts, antwortete ich, oder auch nichts.
Als ich aus dem Schlafzimmer trat, knallte mir das gräuliche Licht vom Himmel entgegen. Ich fühlte richtig, unter welcher Spannung mein Geist war. Immerhin hatte er diese weite Entfernung bis zur Kathedrale auszuhalten. Und dort war ich immer noch stehen geblieben. lass es gut sein, sprach ich mir beruhigend zu. Es ist einfach so.
In der Küche kochte schon der Kaffee. Die Zeitung lag am Tisch. Als ich den ersten Schluck nahm und die Titelseite durchlas, war Annabell schon mit unserer Tochter weggegangen. In aller Herrgottsfrüh. Am Vortag war in der Nacht eine Bombe explodiert. Der Vorfall hatte sich in einer Einkaufsstrasse ereignet. Menschen waren keine zu Schaden gekommen. Die Hintergründe waren voererst unklar. Der Sachschaden war allerdings erheblich. Mehrere Geschäftslokale sollen vollkommen ausgebrannt sein. Ein Wunder eigentlich, dass niemandem etwas passiert war. Beim Überfliegen der nächsten Seiten waren noch ein paar Meldungen der aktuellen Innepolitik und unterschiedlichen Popstars, deren Schicksal tagtäglich in der Öffentlichkeit ausgebreitet wurde. Es war völlig unwichtig, wirklich.
Zu mehr reichte meine Zeit auch schon nicht mehr. Beim Blick auf die Uhrzeit wurde mir klar, dass ich sowieso schon spät dran war. Als ich die Wohnung verlies, hatte ich kurz wieder ein Gefühl. Sozusagen ein Gefühl von der anderen Seite. Oder vielleicht war es eher ein Bild. Es war der Anblick der Kathedrale. Der Blick in ihr schwarzes Portal. In die Finsternis ihres Raumes. Es war wie ein Blick in eine Art Nichts. Der Blick war aber auch nicht beängstigend. Er war einfach da und es war so, dass er irgendwie nicht hierher gehörte und das möglicherweise ein Teil meines Geister noch dort war. Vielleicht aber auch nicht.
Jedenfalls verließ ich dann meine Wohnung und ging zur Arbeit. Und irgendwie dachte ich mir schon beim Einsteigen in die U-Bahn, dass dieser Tag etwas ganz Besonderes werden sollte.

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