Mittwoch, Dezember 10, 2008

Du

Du ziehst dahin
jeden Tag tief unter mir
unter der Erde
in der schwarzen Röhre

trägt dich die U-Bahn
von einem Ort zum anderen.
vorbei an mir, ohne
mich zu sehen.

Nicht dazu bestimmt
mehr zu erleben und zu teilen
als vergangene Blicke
ein paar Schritte im Alltagstumult

im unterirdischen Hin und Her
morgens und abends
nicht mehr als ein paar Phantasien
bloß um zu zeigen wo man steht

wenn man sich nicht gerade fortbewegt.
Traumlos gehen die tage vorüber
immer bin ich auf der Hut
dir doch zu begegnen.

Vielmehr noch auf der Hut
dich zu übersehen, übersehen zu werden
so warte ich, obwohl ich
dauernd in Bewegung bin.

Wie auf eine U-Bahn, die nicht kommt.
Da, bist das du - mit den schwarzen Haaren
am Weg in eine andere Richtung.
hast du jemals existiert?

wartest du auf einem anderen steig,
was hat sich nur geändert, seitdem wir
uns nicht mehr sehen und alles so
routiniert und nach Fahrplan läuft?

Bin ich am richtigen Weg und
wie kann ich auf meinem Weg sein
wenn ich versuche, auch deinen Weg
erneut zu kreuzen - und so

kann es nicht sein, dass wir uns auf
unseren wegen begegnen, wenn wir nur
damit beschäftigt sind, den weg des
anderen zu beschreiten um eine kreuzung
herbeizuerzwingen.

vielleicht stehts du ja zufällig morgen
mir gegenüber. irgendwo, wo ich
nie damit rechnen würde. vor lauter über-
raschtheit würde mir nichts einfallen,

was ich sagen könnte. aber ich weiß, dass ich
nicht schweigen werden. ich werde stammeln.
oder versuchen, dich einfach nicht
weiter fahren zu lassen. Irgendwohin.

Freitag, November 28, 2008

Stille

Alle schlafen.
Draußen zieht das Leben vorbei,
wenn es überhaupt ein Leben gibt,
das irgendwo vorbeiziehen kann.

Existiert nicht bloß der Hauch
dessen, das ich vor mir habe.
Löst sich jenseits dessen nicht
alles auf und wird zu nur einem
einzigen übrigbleibenden Jetzt?

Und zu sonst nichts?

Oder ist mein Leben eine stumme Suche
nach dem Anderen? Der Anderen.
Eine Sehnsucht nach etwas, das irgendwo
zu finden ist. Bloß nicht hier im Jetzt.
Wo ich sitze, atme.

Die Geschäftigkeit der Welt, (die da draußen vorbeizieht)
wirbelt einem durch den Geist. Wie ein Spiegel das Licht
lenkt sie die Ausrichtung des Geistes ab.
Immer wieder von Neuem muss man sich neu ausrichten.
Wie im Fernseher das richtige Programm suchen.

Ist das Leben nicht erfüllt von der Sehnsucht nach all dem,
was man nicht hat, aber haben könnte?
Wird nicht alles, was meine Hände ergreifen
unantastbar in jedem Moment, inhaltslos und leer.
Bloß damit die Suche
rasch fortgesetzt werden kann.
Hasten zum nächsten Moment, zum nächsten Ort.
Ganz tief in mir die Sehnsucht nach Ankommen.
Der Glaube, nicht an sich zu scheitern.

Freitag, Oktober 31, 2008

Bevor es kam...

Wie ein Komet
stürzt das Leben
über mich herein

Elektrisiert
knistert taucht es
Wellen schlagend

Mit welcher Macht
Dinge entstehen
geschaffen von eigener Hand

Aus eigenem Blut
und fremden
entsteht das Neue

immer wieder
unaufhörlich
niemals

könnten wir erahnen
und empfinden
bis in jede Pore des Seins

welch ungeheure Dimensionen
geöffnet werden
wie Tore in der Nacht

die Leben der Anderen
fassungslos nur sehe ich
die äußere Form

von etwas viel Größerem
und Tieferem
entstanden in einem Moment

Lange ist es her
eine nackte Erinnerung
aus Freude.

Dienstag, Oktober 07, 2008

Mom ent au fnahme

Lange schon wurden
Keine Worte still gesprochen
Nur so laut geredet.

Tausend Poesien
Flirren durch den Wirbelwind
Gold die Blätter

Rand und Schlank
Der zarte Körper
Drückend die Phantasien

Wie schwere Lasten
Gefährliche Blicke wie Tunnel
In die Welt hinein

Durch sie hindurch
Elektronische Symphonien
Blitzkaskaden ziehen

Über das brache Kornfeld
Die pelzige Haut von Mutter Erde
Rauh der Geschmack vom Rauch des Lebens.

Sonntag, Juli 20, 2008

Hinter dem Vorhang

eine Kurzgeschichte...

I.

Ich ahnte nichts von den bevorstehenden Veränderungen in meinem Leben, als ich an diesem einen, bestimmten Sonntag auf die Straße trat. Das heißt, nichts sollte sich seiner Form nach verändern – aber um es anders zu sagen: Manchmal durchschreitet man gewisse Türen und betritt damit neue Räume, ohne dass man es bemerkt.

Die Straßen waren menschenleer. Ich schlenderte vor mich hin, vorbei an geschlossenen Kaffeehäusern, geschlossenen Restaurants, geschlossenen Geschäften und gelb blinkenden Verkehrsampeln und genoss die Ruhe unter der warmen Frühlingssonne. Ein paar Krähen stritten sich um eine fallengelassene Wurstsemmel. Weiter weg war das Aufprallen eines Fußballes zu hören. Ich spazierte also stundenlang durch die Straßen und gewiss wäre ich früher oder später wieder nach Hause gegangen, aus dem einen oder anderen Grund, vielleicht weil ich müde geworden oder mit meiner Freundin Helena verabredet gewesen wäre. Ja, ich wäre sicher heimgekehrt, wenn ich nicht an jenem seltsamen Ort vorbeigekommen wäre…

Es war ein altes, halbverfallenes, einst sicher prunkvolles Haus in einer scheinbar ausgestorbenen Wohngegend. Der Verputz bröckelte von den Wänden, die Fenster waren verstaubt und beschlagen. Das Tor war massiv, groß und schien ohne Restauration seit vielen Jahrzehnten der Witterung und den Schadstoffen einer modernen Großstadt zu trotzen.

Ich hörte ein Lachen, aus dem leicht geöffneten Tor dringen. Das heißt, ich glaube, ich habe ein Lachen gehört. Vielleicht handelte es sich aber nur um eine Einbildung. Die neckische Art der Stimme interessierte mich. Vorsichtig blickte ich durch das Tor. Der Innenhof war verwahrlost und von Gestrüpp überwuchert. Da niemand zu sehen war, trat ich hinein und folgte der Stimme, die offenbar aus dem Haus gekommen war. Ich ging durch eine offene Holztür und weiter durch Gänge und Stiegen, die ich immer eiliger durchkreuzte.

Plötzlich stand ich in einem Bühnenraum. Vor mir im Dunkeln lagen die Reihen leerer Zuschauer-Sitze. Die Bühne selbst war beleuchtet. Eine hell geschminkte Frau tanzte und hielt ein Seil in der Hand, mit dem sie zugleich einen Mann in ein unentwirrbares Netz spannte, in dem sie bald beide gefangen waren.

Der Mann sagte mit schwärmender Stimme: "So eine laue Nacht...stell dir vor....du sitzt am Balkon....die Grillen zirpen, irgendwo hörst du die ruhige Stimme eines Nachrichtensprechers. Der redet von Korruption und Autounfällen. Du hörst aber gar nicht hin. Ganz heiß ist dir in deinem Sommerkleid. Deine Schenkel ganz heiß, dein Atem ist unruhig und schwer, nicht wahr? Und der Mann im Radio, der sagt plötzlich nichts mehr über die Unfälle. Der redet über den Verkehr. Ja, über den Verkehr und die Verkehrsknoten und über die Kompliziertheiten der Liebe und er sagt: Du kommst nicht mehr los von mir....denn wir sind miteinander ver..."

Und die Frau sagt: "Verknotet!“

Und der Mann fährt fort: "Und weißt du, warum das passiert, selbst wenn du es nicht wolltest? Weil da ein kleiner verspielter Kobold zwischen den Menschen herumgeistert. Und der, der hat einen Faden. Das ist der Faden des Schicksals. Mit dem bindet er die Fäden zwischen den Menschen, und ist der einmal gesponnen, ist die ganze Geschichte geschrieben...."

Und wieder die Frau: „Und der Rest ist dann schon geschrieben. Bis ans Ende. Wie dieses Theaterstück.“

Der Mann und die Frau waren mittlerweile völlig ineinander verwoben, hielten einander fest, schauten sich in die Augen. Schließlich lösten sie sich wieder voneinander, räumten die Bühne frei, zogen den Vorhang zu und verschwanden. Ich verhielt mich still und wartete ab, ob sie wiederkommen würden. Der rote Vorhang wellte sich wie erstarrte Wogen des Meeres. Neugierig erhob ich mich und ging nach vor. Ich fühlte den weichen Stoff, fühlte, wie er ganz leicht nachgab, sich drücken ließ. Ich roch das Holz der Bodenplatten, die staubige Luft uralter Menscheitsträume. Wie zufällig ließ sich der Vorhang beiseite schieben und gab mir den Blick auf die Schwärze dahinter frei. Der rote Samtvorhang, die schwarze Ewigkeit, der Duft von Epen - mit einem kleinen, unvorsichtigen Schritt war ich darin verschwunden.

II.

Es war stockfinster und still. Ich tastete mich Stück für Stück vorwärts. Plötzlich hörte ich Schritte über mir. Da war jemand. Ich hielt den Atem an. Dann war ein lautes Plumpsen unmittelbar vor mir zu hören. Ich räusperte mich, stotterte „Hallo?“. Keine Antwort. In der Jacke hatte ich Zündhölzer. Ich machte Licht. Da starrte ich in die toten Augen eines Mannes. Eine Blutspur zog sich über sein Gesicht. Eine Blutlache breitete sich langsam unter meinen Füßen aus. Der Mann muss von irgendwo über mir heruntergestürzt sein. Möglicherweise absichtlich. Ich wollte sofort umkehren und Hilfe holen. In dem Moment ging ein Licht oberhalb der Bühne an Auf einem Geländer über mir schlenderte ein Mann in blauer Arbeitskleidung. Sein Blick fiel sofort auf die frische Leiche, dann auf mich.

„Ah…“ seufzte er, wenig überrascht. „Und sie?“

“Ich? Ich, äh, ich habe...der Vorhang...“.

Der Mann: „Sie haben hinter den Vorhang geschaut?“

„Ja...ich hab nur etwas Fallen gehört...“

„Verstehe.“

Wir starrten beide auf die Leiche.

Mit „Er ist tot.“, kommentierte ich unbeholfen das Offensichtliche.

„Mhm.“

Langsam, routiniert, bewegte sich der Arbeiter zu einem Wandkasten, öffnete ihn, und hielt einen Telefonhörer in der Hand.

„Ja...ihr könnt gleich noch mal kommen. Ja. Schon wieder.“

Er legte den Hörer auf. Um die eisige Stille und meine Nervosität zu brechen, fragte ich: „Und jetzt?“

„Jetzt kommt er raus.“

Er war inzwischen über eine Leiter auf die Bühne herabgeklettert, besah den Leichnam. Ich versuchte pflichtbewusst und unverdächtig zu sein, fragte also weiter: „Sollte man nicht die Polizei rufen?“

Der Mann sah mich entgeistert an und sagte dann belustigt „Nein…Nein.“

Zwei weitere Arbeiter betraten den Bühnenraum. Wortlos, unüberrascht und mit einer verdächtigen Routine räumten sie den Leichnam weg.

Ich hätte gerne etwas über den Toten und die in diesem Haus offensichtliche Alltäglichkeit solcher Begebenheiten erfahren, wagte es aber nicht, zu sprechen. Möglicherweise hatte ich es hier mit Kriminellen zu tun. Als sie den Leichnam durch eine Tür zerrten, fragte ich noch schnell: „Eine Frage. Ist vorne noch offen?“ wollte ich wissen.

„Hä?“

„Na, komm ich vorne beim Vorhang wieder in den Hof raus?“

Einer von ihnen lachte beiläufig. „Keiner kommt hier lebend raus, Kleiner.“

Sie drehten das Licht ab, verließen den Bühnenraum und ich stand wieder etwas ratlos im Dunkeln. Mit Hilfe meiner Streichhölzer versuchte ich durch die Dunkelheit zu dem Vorhang zurück zu gelangen und schnellstens zur Polizei zu gehen. Aber ich fand ihn nicht mehr. Die Streichhölzer gingen mir bald aus und ich fluchte wütend vor mich hin. Irgendwann ertasteten meine Hände eine Türklinke. Ich betrat ein Gang, sah weitere Türen. Und dahinter wieder Türen und wieder Gänge und Türen. Auch die Fenster führten nur in enge Lichtschächte, die sich nach oben hin, oder in der Tiefe verloren. Zunächst noch hoffnungsfroh und mir meiner baldigen Rettung sicher, wurde ich bald ungeduldig und nervös. Schließlich rannte ich panisch durch die Gänge und Stiegen, bis ich mich hoffnungslos verirrt hatte. Es war völlig still. Nur dieser Satz: „Keiner kommt hier lebend raus.“ schwirrte wie ein Schmetterling durch meinen Kopf.

III.

Irgendwann später. Ich saß am Steinboden. Meine Füße schmerzten, mir war kalt. Ich wollte zurück in mein normales, unerreichbares Leben und versuchte mir darüber klar zu werden, wie es ein Theater geben konnte, aus dem es keinen Ausgang gab und genauso wenig Menschen - außer Selbstmördern, Schauspielern und Irren.

Nach einer Weile bemerkte ich einen Luftzug beim Spalt einer schweren Holztür. Es war eine Mischung aus Frischluft und kaltem Zigarettenrauch. Ich erhob mich, öffnete die Tür. Eine Wendeltreppe zwirbelte sich nach oben. Ich ging die ersten Stufen noch langsam und vorsichtig, bald schneller. Weiter und weiter. Schließlich stolperte ich in eine karge, mit Büchern und Manuskripten überfüllte Kammer. Ein Mann saß an einem Tisch und deutete mir, ohne aufzublicken, sogleich zu schweigen. Er schrieb etwas auf ein Papier. Auf seinem Schreibtisch standen eine Flasche mit grünblauer Flüssigkeit, von der er gelegentlich einen Schluck nahm, ein übervoller Aschenbecher und eine kleine Tischlampe.

„Haben sie manchmal Angst vor der Unvorhersehbarkeit des Lebens?“ fragte er.

„...anders ausgedrückt: Ist das Leben nicht immer lebensgefährlich?”

Ich schwieg, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen.

„Ich schreibe gegen diese Unsicherheit, verstehen sie? Fiktion ist Hingabe an eine Realität, in der einem nichts passieren kann. Sicherheit. Egal was passiert, für die Dauer der Geschichte sind wir sicher vor den Umtrieben des Daseins. In Wahrheit kennen wir das, was wesentlich am Ende der Geschichte ist, ohnehin. Es ist der Tod, das Sterben, es sind die Knochen und Gerippe, die von einem überbleiben, wenn man nicht gerade im Flammenmeer eines atomaren Krieges verbrennt.“

Er blickte mich mit seinen verschwommenen Augen an, dann widmete er sich wieder seinem halbbeschriebenen Blatt.

„Wo geht’s hier denn raus?“ fragte ich unsicher.

„Keiner kommt hier lebend raus.“ Sagte er kurz und unwillig.

Ohne diese Aussage näher diskutieren zu wollen, verließ ich die Kammer des Dichters.

Über die Wendeltreppe stapfte ich hinab. Nach einer neuerlichen, endlosen Irrreise durch die Gänge und Stiegen und leeren Räume des Theaters landete ich schließlich in einem kleinen Zimmer, in dem sich nichts außer einem Bett und einem Schminktisch befand. Erschöpft und entmutigt ließ ich mich hineinfallen.

Ich musste an die Frau mit dem Seil denken, die ich auf der Bühne gesehen hatte. Sie tanzte vor mir auf und ab. Ich war in ihr Netz eingesponnen, röchelte bereits und war dem Ersticken nahe, aber durch ihren Tanz wurde ich zugleich am Leben gehalten. Sie erzählte mir mit freundlicher Stimme von Verkehrsfunksprechern und Knoten und Schicksal. Langsam sank ich in den Schlaf hinüber.

IV.

Nacht. Es klopft an meiner Türe. Verschlafen setze ich mich auf. Wer ist das? Ich öffne die Zimmertür. Ein Mann steht da. Unscheinbar. Leerer Blick.

„Ich bin´s.“ sagt der Mann, „Der Tod.“

„Ah ja.“ Mittlerweile wundert mich nichts mehr.

Er sagt „Schau, es ist Folgendes: Wenn du willst, nehm´ ich dich jetzt gleich mit. Es ist kein Problem. Keine Schmerzen, keine Trauer, kein Drama, kein Umherirren mehr. Du kommst einfach mit.“

Seine Stimme klang völlig ausdruckslos und gleichgültig.

„Du kommst in den Seelenspeicher und die ganze Angelegenheit ist beendet. Keiner ist dir böse, du bist einfach weg und nie gewesen.“

Er machte eine Pause.

„Aber…“ fuhr er fort, „…wenn du jetzt nicht mitkommst, komm ich erst in etwa achtzig Jahren wieder.“

Was für ein Angebot? Ich überlege kurz. Wer weiß, was ich alles versäumen würde? Nie würde ich herausfinden, ob es einen Ausgang aus diesem Theater gibt. Nie wieder die Menschen sehen, die ich liebe, nie wieder Freude empfinden. Andererseits, 80 Jahre hier gefangen bleiben. „Na gut.“ sagt Tod, „du kannst dich nicht entscheiden. Vielleicht komme ich später wieder.“ Er geht.

V.

Als ich wieder erwachte, stellte ich fest, dass Tod mich nicht geholt hatte. Ich fragte mich, ob mich jemand in der anderen, der normalen Welt, bereits vermisste und ob ich darauf hoffen sollte, dass Helena die Polizei alarmieren würde. Vielleicht würde man mich mit Hilfe von Spürhunden finden. Dann würde man die Betreiber oder den Direktor dieses Theaters zur Rechenschaft ziehen, nicht zuletzt wegen des vertuschten Selbstmordes, wenn es überhaupt ein Selbstmord war. Doch intuitiv wusste ich bereits, dass es hier in diesem Theater, aus dem niemand lebend herauskommt, um etwas ging, das nichts mit der banalen Direktorenproblematik zu tun hatte.

Ich wollte gerade den Raum verlassen, als ein junges Mädchen hereinkam. Sie war wenig überrascht mich zu sehen.

„Hallo.“ sagte sie.

Ich grüßte zurück. Sie trug einen schwarzen Rock. Ihr dunkelblondes Haar fiel bis zu den Schultern. Sie hatte fast bernsteinfarbene Augen und klare Gesichtszüge. Ihre Haut war hell und die Arme so dünn, dass man meinen könnte, sie würden bei einer Berührung zerbrechen. Während sie ungeniert begann, ihr schwarzes Kleid auszuziehen und in ein anderes, festlicheres hineinschlüpfte, säuselte sie eine Melodie.

„Heute Abend wird ein Neues Stück aufgeführt.“ sagte sie. „Ich glaube, es wird ein Erfolg.“

Wovon es handelte, wollte ich wissen.

Sie meinte „Wie immer um die Liebe und den bösen Zauberer, der die Prinzessin nicht freigibt.“

„Ach ja“, sagte ich, Wissen vortäuschend. Offensichtlich war das Mädchen genau so irre, wie der Schriftsteller. Ich fragte erst gar nicht nach einem Ausweg.

„Spielst du etwa nicht mit?“ fragte sie.

Nein, ich spielte nicht mit, meinte ich. Ich sei neu hier.

„Achso. NEU-GIERIG gewesen.“ Sie kam zu mir, streichelte mir die Wange und bekam plötzlich einen sehr ernsten Gesichtsausdruck, als würde sie mir etwas ungeheuer Wichtiges sagen wollen. „Man kann jede Rolle spielen, die man will. Manche natürlich beherrscht man besser.“

Sie schlüpfte in ihr Kleid, und fragte mich bestimmend: „Gehen wir zur Probe?“

Dann ergriff sie meine Hand und wir gingen in einem Probenraum. Dort warteten schon andere Schauspieler. Jeder hatte einen Text in der Hand. Eine ältere Frau gab mir auch eine Rolle, und zwar die des Himmelreiters. Wir spielten die Szene öfter durch. Ich hatte zunächst Bedenken, mich gehen zu lassen. Die Schauspielerei lag mir nicht und ich hege bis heute eine gewisse Abneigung gegen Schauspieler. Doch im Lauf der folgenden Stunden hörte ich auf, mich über die Welt und ihre Erscheinungen zu wundern. Eine Art von Zugehörigkeit zu den Menschen hier ergriff mich. Sie waren mir zwar fremd, aber zugleich mochte ich sie.

Schließlich kam ich auf eine Idee. Die Aufführung musste ja vor einem Publikum passieren. Vielleicht würde es eine Möglichkeit geben, sich im Zuge dessen aus dem Theater ohne Ausgang zu schummeln. Oder ich könnte die Leute um Hilfe bitten. Jedenfalls würde ich das seltsame Schauspiel nicht unkommentiert vorbeigehen lassen. Insgeheim malte ich mir aus, wie ich schon bald die Story vom vertuschten Selbstmord in dem Theater des Wahnsinns an eine der vielen tagesaktuellen Illustrierten verkaufen und damit reich würde.


VI.

Die Aufführung am Abend fand in einem großen, barocken Saal statt, über dem sich eine mächtige Glaskuppel wölbte, durch die hindurch das ganze Stück im nackten Mondlicht, welches direkt hereinfiel, vorgetragen wurde. Die Zuschauer lauschten angespannt und aufmerksam.

Am Rande der Bühne wartete ich auf meinen Monolog, wild entschlossen meine Chance auf Rettung nicht zu verpassen. Schließlich stand ich allein auf der Bühne. Die Blicke des Publikums ruhten auf mir, sie hörten mir zu. Ich hatte sie vollkommen gefangen. Plötzlich hörte ich einfach auf zu reden. Ein langer Moment der Stille legte sich über den Saal. Jetzt war der Zeitpunkt für die Wahrheit gekommen.

„Das ist ein Gefängnis!“ schrie ich. „Vergesst das Theaterspiel. Keiner kommt hier lebend raus! Geht nach Hause! Geht heim! Nehmt mich mit. Rettet euch.“

Ich fand nicht die richtigen Worte, sagte noch einmal „Keiner kommt hier lebend raus! Es ist alles eine Lüge!“ Mir wurde schnell klar, dass mich niemand verstand. Die Leute blieben neugierig sitzen. Ich sprang von der Bühne und lief an den Zuschauern vorbei zur Saaltüre und hinaus. Vor mir war ein Stiegenabgang. Ich eilte hinunter, wieder durch Gänge, Türen, Räume und wieder Gänge. Das führte aber nur dazu, dass ich unversehens und unfreiwillig wieder auf die Bühne kam und die Prinzessin freudig erstrahlte, als sie mich sah und meinte „Dein Auftritt war fantastisch!“.


VII.

Es gab im Anschluss ein Fest. Hunderte Menschen waren anwesend. Viele waren elegant gekleidet, andere in Kostümen. Es herrschte eine prächtige Stimmung. Einige Musiker gaben mit ihren dröhnenden Blechinstrumenten wilde Tanznummern zum Besten. Ich trank kräftig Wein. Meine verschwiegene, innere Leere und meine Verzweiflung mussten doch ausgefüllt werden. Bald schon waren Gäste und Schauspieler vermengt, angeregt, lebendig.

Ich stand schließlich an einer Theke. Ein großer Bottich mit einer blaugrünen Flüssigkeit ruhte vor mir. Ich weiß nicht, was genau in dem Getränk war, aber jemand flüsterte mir zu, dass es sich bei der Erstellung des Getränkes um einen geheimen Ritus handelte. „Der Bauer muss an einem bestimmten Tag vor Vollmond eine Smaragdeidechse in seinem Weingarten fangen und sie bei lebendigem Leib in die Bouteille stopfen. Im Todeskampf gibt sie bestimmte Gifte von sich, die auf das menschliche Nervensystem eine zutiefst bedeutsame Wirkung haben.“ Kichernd verschwand der Jemand, den zu sehen ich ohnehin schon nicht mehr imstande war. Ich schlitterte einfach weiter und weiter in die Wirren und Kanalisationen dieses Festes und seiner Gesellschaft.

Eine brodelnde Suppe aus verwischten Momenten und untergehenden Frachtschiffen, Pfeile glitzernder Botschaften, so viele Augen, so viele Körper, soviel Feuer, viel Feuer. Eine Frau tanzte Ballett. Die Prinzessin sah ich am Schoß eines älteren Mannes sitzen, mit ihren engelhaften Augen blinzelte sie zu mir, während der Mann langsam seine klumpigen Hände über ihre Beine rieb. Alles schien zu zerrinnen und in sich zu wachsen und ich sah die schwarzen Haare einer anderen Frau. Sie tanzte mit einem Mann, der wiederum mit einem Mann tanzte, an dessen Ende die ersten grünen Echsen saßen und ihr Hals war von einem Band umgeben und sie hatte den wunderschönsten Rücken, den ich je gesehen hatte, einen nackten Rücken und strahlend klare Augen von diesem wunderbaren Echsengetränk und sie war verlobt, sagte sie, während andere Männer ihr an den Busen fassten, und sie senkte ihren Kopf und blickte zu mir, gab ihre Schulter preis, lockte mich, indem sie sich langsam zur Musik bewegte, lächelte, blitzte. Die Wellen ihrer Stimme pflanzten sich fort über das Ohr und die Windungen meines Gehirns in mein Blut und in mein Herz. „Oh mein Gott, du hast so ein schönes Gesicht“ sagte sie und ein anderer Mann kam dazu und nickte bestätigend, als wäre ich ein Kunstobjekt, ich wusste, ich würde hier früher oder später raus müssen, ich wusste, dass auch sie frische Luft brauchen würde, diese Frau mit dem wunderschönen Rücken, ich befreite mich mit ihr von dem pulsierendem Echsenkollektivwesen und wir tanzten ins Freie, waren plötzlich über der Stadt, unten fern die Lichter, es regnete, zu weit weg, sie schmiegte sich an mich, ich nahm sie in die Arme, sie zitterte, wir küssten uns langsam, es fühlte sich an wie Liebe, ein warmes, doch zebrechliches Glücksgefühl, ich strich über ihren Rücken und ihre Haut, sie atmete tief und schloss die Augen ihre Stirn lehnte an meiner Brust ihre Hände auf meinem Rücken auf meinem Arsch ihre Lippen küssen ganz schüchtern und weit weg, sie muss erst hierher finden hierher ins Freie wo bist du nur? Haben wir dich vergessen? Unsere Lippen aufeinander ihre Zunge streicht über meine, lass uns doch einfach ficken, wäre das nicht schön? Das wäre wunderschön vielleicht verlieben wir uns ineinander vielleicht werden wir gemeinsam Kinder haben Vielleicht verlieben wir uns ineinander und wenn es nur für zehn Minuten ist.

Sitzen auf dem Balkon. Still war es. Nass. Wir sitzen einander haltend da, starren in den strömenden Regen. Wir sind irgendwo im Freien, aber es spielt keine Rolle. Es ist trotzdem alles unendlich weit weg. Eine mir sonst unbekannte Traurigkeit überkommt mich. Die Echsen klettern die Fassade hinab, vom Regen weggewaschen, ein trauriger Blick, gerötet die Wangen, zurückgekehrt vom Kollektivwesen, gröhlend tost Trompetenmusik aus dem Gebäude heraus. Ihre Hand liegt in meiner. In ihrer Handfläche sammeln sich die Regentropfen.

Ich stehe auf und beuge mich nach vor. Um zu sehen, wo die Echsen sind, und ob sie wiederkommen, aber ich sehe sie nicht. Ich sehe noch genauer. Aber ich sehe sie nicht. Und ich sehe noch genauer, doch ich sehe sie nicht.

Es ist alles soweit weg jetzt.

Es ist alles soweit weg jetzt. Soweit weg. Ich sehe Tod über mir, fliegend. Er zieht über das Land und pflückt die Seelen. Er grinst nicht. Ein großer, langer Schatten hüllt mich ein. Er klopft an meiner Türe. Doch ich wage es nicht zu öffnen. Ich bin so traurig. Warum bin ich nur so traurig? Ich schaue hinter den Echsen her, doch sie sind verschwunden. Wo sind sie nur? Tod ist gekommen. Er blickt mich an und ich versuche nicht hinzusehen. Es ist alles soweit weg jetzt, soweit weg da unten und dann ist alles verschwunden.

VIII.

Ich hänge an einem Mauervorsprung, muss gesprungen sein. Unter mir geht es gut 30 Meter hinab in die Tiefe. Ich klammere mich an dem Beton fest, finde langsam Halt, ziehe mich hoch.

Mein Herz klopft. Ich habe Schmerzen. Bin ich tot und lebe in einer Parallelwelt weiter? Fassungslos starre ich in den Abgrund hinunter. Ich muss laut lachen. Niemand ist da. Nur die Symphonie des Regens über einer unsichtbaren Stadt prasselt herab.

Ich gehe ins Haus. Keine Spur von einem Fest. Keine Prinzessin, keine Frau mit dem Rücken, niemand. Auch keine Eidechsen. Ich gehe um eine Ecke, plötzlich steht der Arbeiter von Beginn wieder da.

„Na? Immer noch keinen Ausgang gefunden?“ fragte er.

„Nein.“

„Freunde gefunden?“

„Weiß nicht.“

„Aber man passt sich an mit der Zeit.“ ergänzt er meine Verschwiegenheit.

„Sozusagen.“

Er klopft mir auf die Schulter und geht wieder. Ich denke mir: Lass dich einfach treiben, so wie du es früher immer getan hast an sonnigen Nachmittagen. Also schlendere ich durch die Gänge und Stiegen des Theaters. Ich gehe vorbei an geschlossenen Fenstern und Türen und weiß nicht, wohin der Weg mich bringen wird. Ich gehe einfach.

Plötzlich stehe ich in einem Garderobenraum. Dahinter höre ich Straßengeräusche. Ein Auto. Gelächter von Menschen. Ich gehe durch die Schwingtür und stehe im Eingangsraum des Theaters. Die Haupttür ist offen und ich kann die Welt draußen sehen, die Welt jenseits des Vorhangs. Es nieselt draußen, aber die ersten Sonnenstrahlen spitzeln bereits durch die auseinanderdriftenden Wolken, spiegeln sich in Wasserpfützen. Eine Gruppe von Kindern läuft schreiend vorbei. Ungläubig starre ich auf das Leben und die Bewegungen da draußen, bis ich allmählich an deren Echtheit glaube. Ich nähere mich der Türe, durch die die vertrauten Geräusche der Realität dringen und will hinaustreten. Zwei kräftige Männer stehen an den Flügeln. Sie sind elegant gekleidet.

„Haben sie eine Karte?“ Fragt mich einer.

„Eine Karte. Was für eine Karte?“

“Sie brauchen eine Eintrittskarte. Bitte kaufen sie sich eine. Da an der Kassa...”

Die Männer wenden sich von mir ab. Ich gehe verwirrt zur Kassa. Die Kassierein ist vertieft in ein Buch. Ich sage nichts und warte nachdenklich. Es dauert, bis sie mich bemerkt.

“Wozu brauch ich eine Karte? Für draußen?”

“Na, für den Eintritt natürlich. Macht 6,50.”

Aber ich hab doch kein Geld. Ich hab doch kein Geld.

„Ich hab doch kein Geld.“ Flüstere ich leise, aber niemand hört mich. Plötzlich ist eine Pausenklingel zu hören. Sie erklingt aber nicht von innerhalb des Theaters. Sie kommt von draußen. Von draußen. Dann nocheinmal. Und schon weit weg, jenseits des Theaters, irgendwo auf der Straße, bei der Fußgängerampel muß es sein, ruft jemand, ich höre es noch, bevor alles in Unerreichbarkeit rutscht für mich: “Die nächste Vorstellung beginnt in fünf Minuten...”.

Montag, Juli 14, 2008

Leben der Anderen

Ich sitze da am Ufer des Sees. Türkisgrün und Blau ist das Wasser. Die Körper der schlanken, langen Fische ziehen knapp unter der Wasseroberfläche vorbei. Die Bäume und Schilfwälder bewegen sich langsam im Wind. Vereinzelt werden die Stimmen anderer Menschen zu mir getragen. Mit dem Feldstecher kann man die Gärten der Nachbarn und ihr Strandleben beobachten. Zwischen den dichtgewachsenen Bäumen und dem meterhohen STräuchern und dem Schilf huschen gelegentlich die Körper von Männern und Frauen vorbei. WEit weg. Ich sehe es nur ganz klein. Aber ich kann mein Interesse an ihnen nicht zurückhalten. Sie laden ein zu Phantasien erotischer Abenteuer. Es ist leider das Erste, das mir in den Sinn kommt. Erotische Abenteuer mit Unbekannten, spontaner Sex ohne langwierige Wortwechsel und Beziehungsbezogene Kompliziertheiten. Ich sehe nur die Bilder nackter Körper. Sie sind wie Wasser im Aderwerk meiner sonntaglichen Vorstelllungen, die dahinplätschern wie das Wasser, wie die flinken Fische, die rasch wieder abtauchen im Dunkel des Sees. TAbulose Ehebrüche, Verführungen junger Mädchen und unsittliche Begegnungen - die nicht geschehen. Sie drohen eher, wie die schweren Gewitterwolken, die sich allmählich über mir zusammenbrauen. Wie eine schwere Last zerrt die Lust, zerrt an den Ästen der Bäume und lässt die Wellen schäumen. Richtig laut ist es in mir - an diesem entlegenen Ort. Und außer meinen lauten Gedanken höre ich nur den Wind und das Rauschen der Bäume und das Rascheln vom Schilf.
Eine Frau küsst einen Mann, drückt ihren Körper gegen seinen. An einem Badegrundstück daneben geht ein Mann nackt baden. Ich sehe ein Mädchen, das oben ohne auf einem Gehsteig sitzt und scheinbar etwas liest. Niemand scheint Anteil zu haben an meiner Abgründigkeit, die ich mir im Leben der Anderen hier vorstelle. Niemand ahnt etwas. Niemand.
Da hüpft eine schwarzhaarige junge Frau, ganz nahe bei mir mit einem Kopfsprung ins Wasser. Ihre Augen mustern mich kurz, wenden sich ab. Als könnte sie in mir wie in einem Buch lesen. Oder als hätte sie ähnliche Gedanken wie ich, mehr oder weniger bewusst, aber hat keine Lust, sie irgendwie mehr als Gedanken werden zu lassen. Die Brüste der Frau sind vom Bikini verdeckt, alles glänzt und glitzert vom Wasser in der Sonne, ihre Lippen sind voll und rot. Soviel sehe ich in der Kürze, ohne mich verdächtig zu machen.
Es bleibt alles wie es ist. Der Wind weht mir um die Ohren, das Wasser kräuselt sich. Lauter und stiller als zuvor bleibe ich hier sitzen. Nicht dass in der Umsetzung derartige Phantasien diese Süße und Vollkommenheit behalten würden, die sie in ihrer schieren Möglichkeit besitzen. BLoß vor meinem inneren Auge denke ich mir all das aus. Denn in Wahrheit würde ich es nie wagen, so ein moralloser Strolch zu sein, wie in meinen Gedanken.
In der Ferne thront mächtig, wie ein schlafender Riese, eine Hügelkette, deren Spitze schon von dunkelgrauen Regenwolken eingehüllt wird. Die Sonne verblasst allmählich hinter einem hoch über mir aufgerollten Wolkenband, dessen Anfang und Ende sich im Himmel irgendwo verliert.
Ein spitzes Fischgesicht durchbricht die auf den kleinen Wellen hüpfenden und verzerrten Spiegelungen der Bäume und des Himmels.
Das Leben der Anderen passiert hier, nimmt vor mir seinen Lauf. Ich bin der schweigende Beobachter, ich höre den leisen Erzählungen vom Fremden zu.
Unwirklich erscheine ich mir selbst, irreal, wie die meisten meiner Phantasien. Rätselhaft bin ich mir und mir die Welt der Anderen. Leben, denke ich mir, als ich meine Familie auf der Wiese hinter mir sehe, mit einem Ball spielend und lachend, ist eine reichhaltige Fülle an Dingen, Momenten, Eindrücken und vielen Möglichkeiten.

Mittwoch, Juli 09, 2008

beben

Irgendwo muss das Tor sein
in diese eine andere Welt
in der man sich auf Abstand bringen kann
zum Tunnel des Seins.

Diese Embryo-Welt
in der wir durch einen
direkten Draht zu Allem
verbunden sind.

Gehalten sein von Gott.
Würden Kirchenmenschen sagen.
irgendwo muss es die Tür geben
und in dem Zimmer dahinter steht
dieses Bett in das wir uns zum Schlaf legen.

Wo wir einfach sind.
Ohne selbst unterteilt zu sein,
gespalten und getrennt
sehnsüchtig
hungrig
nur Sein.

Aber wurde dieses Tor
nicht sogar von mir selbst
schon längst vor Zeitaltern
zugestoßen. Oder von einer anderen Kraft?

Irgendwo ist diese eine Tür
und man kann durch sie hindurchschreiten
immer wieder.

Ganze Leben lang suche ich sie schon.
Milliarden Menschen suchen diese eine Tür.
Im Glauben, dass sie existiert.
Es gibt sie einfach.

Mittwoch, Juni 04, 2008

Böse Tierchen

Langsam lässt sich das kleine Tierchen nicht mehr von meiner Schulter abschütteln. Es sitzt einfach da und starrt mich mit seinen kleinen, schwarzen, bösen Augen an. Fest in meine Haut gekrallt.

Dann taucht da plötzlich eine Treppe auf. Sie führt hinauf und hinunter. Schwarze Treppen in alle Richtungen. Eine Welt aus Treppen. Da, wo keine Treppen sind, scheint der Aufgang zu sein. Umkehrung sozusagen.

Es ist still und ich mache den ersten Schritt. Es wird kalt. Sehr plötzlich. Dann tauchen wie Projektionen eines alten Filmabspielgerätes Bilder auf. Von Menschen. Mit kurzen Haaren und mit langen. Sie lachen irgendwie. Ich wische sie weg.

Das Tierchen flüstert leise etwas in einer fremden Sprache. Es klingt belustigt, aber worüber amüsiert es sich nur?

Auf den Felsblock über mir werden Wellen herangespült. Salziges Wasser. Es ist kalt. Der Mond spiegelt sich unruhig in den Wellen. Sein Bild hüpft unruhig und fragmentiert auf und ab. Verzerrt sich mal in die Weite, mal in die Höhe. Die Treppen führen durch das Wasser. Sie verschwinden darin. Aber man spürt das Wasser nicht. Ich werde nicht nass. Es geht einfach weiter, aber es bin nicht einmal ich, der geht. Die Welt geht. Ich bin ganz still.

Einzelne Sonnenstrahlen streifen über mich hinweg. Blenden mich. Ein Blumenstrauß wächst aus dem Boden empor. Große und kleine Fische drehen gemächlich ihre Kreise. Später soll etwas kommen, etwas großes Schwarzes, das sie auffressen wird. Aber sie werden bloß in einer anderen Welt mit anderen Grenzen weiterleben. Falls ihr versteht, was ich meine. Sie werden vielleicht eines Tages als kleine, pelzige Tierchen auf den Schultern anderer Menschen sitzen und böse in die Gegend schauen und sich wünschen, dass sie alles fressen könnten. Fressen. Nicht aus Hunger. Bloß aus Lust.

Und die Menschen stehen in einem großen Kreis beisammen. Sie halten sich die Hände. Sie summen eine Melodie, scheint es. Irgendwoher kommt Fackellicht. Aber es gibt keine Fackeln. Das Licht flackert, als würde an den Wänden herum der Schein von Feuer tanzen. Aber es gibt kein Feuer und auch keine Wände. Es gibt Nichts. Alles ist bloß der Anschein von etwas anderem. Das klingt unglaublich, aber es ist so. Irgendwann trollt sich das kleine Tierchen auf meiner Schulter davon. Es hüpft auf die Treppen, hüpft wieder auf andere Treppen und taucht dann ins Wasser ein und ist einfach weg. Und kommt nicht wieder. Nur sein Kichern, besser gesagt sein Geflüster, das wie kichern klingt, ist noch zu hören, so als wären seine Geräusche einfach nur bei mir geblieben. Das muss eine Art von sinnlicher Wahrnehmungsstörung sein. So wie angebliche Jungfrauen mit üppigen Körpern mich einladen, neben ihnen Platz zu nehmen und mich anfassen und sich anfassen lassen. Würden, wenn es sie nur gäbe.

Oder so wie die kurzen Phantasien, die man im Alltag so hat von plötzlichem, ungehemmten Sex mit Arbeitskolleginnen oder Kollegen, je nachdem. Alles kommt irgendwann irgendwo an, ohne je und für immer irgendwo zu bleiben.

Fest des Lebens. Musik, bunte Lichter in den Ästen eines riesigen, knorrigen Baumes, fröhliche Menschen, ein großer Tisch mit einem dampfenden Braten und Gemüse und Obst und Getränken. Und zauberhaften Säften. Und auch ein Tod, der mit grinsendem Gesicht zwischen der Festgesellschaft torkelt und eher aus Ungeschick als aus Vorsätzlichkeit die Menschen berührt und sie mitnimmt. Das wissen alle. Aber sie lachen dennoch. Gerade auch weil er da ist. Und sie lieben sich. Und sie lachen. Während er sich eher über seine Ungeschicktheit ärgert und zugleich breit grinst – verkrampft, aber doch. Die Zähne blinken auf seinem kahlen Schädel, würden sich gerne rund um seinen Kopf herum aneinanderreihen und auf und zu klappen im Rhythmus der Musik.

Es gibt auch andere Orte, ganze Länder, Kontinente in denen darauf vergessen wird, dass es diesen Baum hier gibt. Und diese Menschen. Diese Kontinente bestehen aus den kleinen, pelzigen, bösen Tierchen, die flink umherlaufen, rastlos und ziellos und die am liebsten alles auffressen würden, aber zu klein sind dafür und deswegen böse in die Gegend starren.

Die Wellen vom Meeresufer, sei es aus Sand oder Stein, oder sei es auch bloß ein weiters Loch ins Nichts, das irgendwo abgeparkt wurde - also die spülen langsam in den Geist und irgendetwas machen sie mit ihm. Es muss nicht alles immer in ein klar definiertes oder definierbares Ergebnis münden. Manches ist einfach und wirkt. Manches hinterlässt Spuren, manchmal aber auch nicht. Lassen wir es doch im Raum stehen und freuen uns über seine Existenz.

Montag, Mai 26, 2008

heiß

lange schlanke Hälse
große Sonnenbrillen, die
fast die ganze Nase
und die Stirn abdecken

kurze Jeansröcke
nackte Beine
helle Haut
noch nicht sonnengegerbt

rote und rosa Lippen
kurze Trägerleibchen
der Saum von Unterhöschen
silbern bestickt

Immer derselbe Look.
Zuerst eine, dann zwei, dann drei...

Formen einladender Brüste
Mütter mit ihren Kindern
Väter mit ihren Kindern
blitzblauer Himmel -
was soll bitte blitzblau sein?

junge Männer oben ohne
Fitnessraum-Muskeln
coole Sprüche
verwegene Blicke nach links und rechts

Erzählungen von großen Taten
und noch größeren Taten.
Easy-Sein
Heldentum in Europa im 21. Jahrhundert.
keine Spur von Ritterrüstungen und
blutigen Kämpfen für ein Vaterland

Großbäuchige Touristen -
mit bedrohlich hervorragenden Fotoapparaten
viel zu groß fürs Handgepäck.

fallengelassene Partyflyer,
lustlos vom Wind
am heißen Asphalt verteilt.

Eine kurze Zeitinsel
während langer Flucht
Spiralen fremder Gespräche
fremde Menschenleben rundherum.

Freitag, Mai 16, 2008

moment einmal

Als ob
Kleine Momente
Mehr Bedeutung hätten
Als große
Hat doch niemand gefragt
Was den Moment gar klein macht?

Bloß sein enges Korsett
In der Dimension der Zeit
Lässt ihn gar nichtig erscheinen.

Zu schnell ist er
Um gefasst zu werden.
Wann immer ich ihn erkenne
Ist er längst dahin.

So ist er doch nicht mehr
Vermuten manche
Als bloß ein Meilenstein
Am Pflasterweg der Zeit.

Samstag, Mai 03, 2008

Resümee

Schweigend beieinander sitzen
mit offenen Augen träumen
sich ineinander verlieben.

Die Schönheit der Welt
an sich heranlassen.

Zögerlich einfach nur Sein.

Blitzschnell in sich erkennen
und sehen voller triefender Jetztheit.

Lachend sein Schweigen beobachten
ohne hinzuhören der Welt rechtgeben
Berührungen bloß gedacht auskosten - bis ans Ende.

Sonntag, April 20, 2008

Der Wald

Schroff ragen zu beiden Richtungen die Felsen hoch. Das Sonnenlicht bricht sich an den dicht gewachsenen Nadelbäumen entlang des Weges. Am Boden übersäht ein Fleckenmeer aus Schatten und Licht die Kieselsteine und den moosigen Boden.
Ein feuchter, harziger Geruch liegt in der Luft. Das Rauschen eines Waldbaches tönt immerzu.
Erst in der Nacht strahlt der Vollmond über diese Märchenwelt, in der noch vor wenigen hundert Jahren die Hexen, Zwerge und Trolle das Träumen und Sehnen der Menschen beherrschten.
In kleinen Höhlen versteckt sich jetzt mittlerweile nurmehr die Idee zu einer schummrigen Geschichte, vielleicht hört der eine oder andere phantasiebegabte Wanderer noch die Klänge und Melodien längst vergangener Geisterfeiern. Nicht viel mehr.

Kleine und ausgewachsene Menschen schlendern ahnungslos vorbei an den steilen Hängen, den Weiden und den Marienmarterln, vorbei an alten, verfallenen Jägerhütten und Bauernhöfen. Wenn man in den Wald blickt, sieht man überall rauhe Felsformationen aus dem grünen Grasboden und dem Geflecht aus knöchrigen Wurzelwerk herausragen. Wie stumme Zeigenossen stehen sie da, bekront vielleicht von einer shclanken Fichte, die dem steinigen Untergrund trotzt und ihre Äste frech von sich streckt.

Sonntag, März 30, 2008

Sein und werden

Wehrlose Körper
im Strom der Zeit
unüberwindbar die Barrieren
von Anfang und Ende.

Wie gebündeltes Licht
in einer dunklen Welt
das Gewahrwerden meiner Selbst.

Ich bin nicht.
Oder bin ich bloß eine Illusion?
Ich ist eine Illusion.

Sein und Werden
als einzige Konstanten
Hinter dem Schleier des Begreiflichen.
Zugleich dämmert stets
das Unbegreifliche.

Es bleibt die Suche,
die nichts finden kann.
Suche als alles umspannende Geisteshaltung.

Als unbegreifliche Nicht-Aktivität
des Geistes
hinter all den Handlungen und
Nicht-Handlungen an einem
langen oder kurzen Tag.

Samstag, März 08, 2008

Suche nach dem Traum

Was magisch, ohne Worte
bloß wie ein in die innere
Stille und Ewigkeit
gemeißeltes Bild beginnt,

wächst bald wie dichtes Wurzelwerk
inmitten meines Herzens und
aus ihm heraus

umfasst schier jede Faser
einer zum Traum verblassten Welt
und dreht sich weiter in
dem Rad von fieberhaften Phantasien,

wie Wellen unruhigen Meeres
zerbricht die Welt in tausend Stücke,
so scheint es.

Doch jenes Bild, erstarrt und festgehalten,
verschmückt, bemalt, zum Irren hin entstellt,
lebt plötzlich auf in jenem Traum,
der wie ein tauber Feuerfunke
durch das Weltall gleitet,
flackert auf wie himmelhohes Flammenwerk.

Wie ein Engel, klar und niemals wahr,
erscheint ein Traumgesicht und schreitet weiter.
Träger, Körper unbekannter Welten.

Umgeben fest von blauem Licht,
endet irgendwann dein sanfter Schritt,
schweigsam, ohne aufzublicken
hinter rußbefleckten Fensterscheiben,
finsteren Stiegengängen
am Rande lauten, großstädtischen Geschehens.

Wie Glockenspiel wehen die Worte nach,
bloß unsichtbare Bewegungen der Luft,
gesprochen in diesem Traum unter
vielen anderen Menschen.

Freitag, Februar 29, 2008

Zusammenprall

In einer langen Nacht
ganz kurz erschien ein Blitz
und er stand länger still
im Sonnenglanz

Inmitten zweier Augenpaare
erhellt - der Geist
der plötzlich aus sich selbst heraus erwacht.

Doch dieses Licht entgleitet wieder,
verloren geht ein heiliger Moment;

es bleibt Vergänglichkeit
als ewige Erinnerung
und sprachlose Gedankenformen
Kreise tanzend ohne Ende

Irgendwann der Stillstand droht.
An einem Punkt ist nichts mehr.
Und nichts war je.
Bloß als Blitz erscheint er
in langen Nächten
und steht dann still.

Mittwoch, Jänner 16, 2008

Süße Erde

Süße, stille Erde
was flüsterst du?

Welche Worte dringen
aus deinem uralten
blutdurchtränkten Wurzelwerk?

Aus deinen Lagerhallen
vergessener Erinnerungen?

Wieviel ist nicht geschehen
auf deinem stummen Boden?

Wieviele Leben sind begraben
in deinem kalten, wurmigen Schoß?

Ist es nicht unbedeutend
darüber nachzudenken
was noch alles aus dir heraus wachsen könnte?

Wieviel der Vergangenheit
ist in kleinen Zellen begraben
und verschüttet in dir.

Jene Gräber, die unsere Toten
bergen - sie kann man zuschütten.

Es bleibt aber jener Raum
in unseren Köpfen,
leer zurück -
leer und nicht mehr aufzufüllen.
Voll mit dem was war und ist.

Süße, stille Erde.

Montag, Jänner 07, 2008

Hochglanzwelten

Verkehrtes Lachen
in finstren Tagen.
Dunkel ist es hier
von früh bis spät.

Verdorrt, verwelkt
die mürben Gräser
tot
Wie eine Wüste

Als Echo klingt
es außerhalb und neben mir
und doch weit weg.
Zu weit weg
zum daran Anteil nehmen.

Bloß das Plätschern
fremden Wassers,
wie perfekte Träume
glitzernd
in einem vom Alltag
verdreckten Abwaschbecken.

Es bleibt die einzige Annäherung
an jene Hochganzwelt,
die künstlich gemacht
um den Planeten flimmert.

In veränderten Frequenzen senden wir -
Signale für Unbekannte gemacht.

Die letzte Stunde

Eines trüben Tages
helles Licht
strahlt am stärksten
in der letzten Stunde.

Entfacht in einer beiläufigen
unachtsamen Sekunde.
Gott persönlich zieht grinsend den Vorhang hoch.

Liebevolle Lust noch vor den abschließenden Worten,
vor dem sanften Schlaf,
und lichterlohen Traumesbildern.

Kurzes Gelächter
erstickt unter der Bettdecke,
unruhiger Katzentanz.
Daneben hustet jemand.

Wach und klar blättert
mein Geist im Rätsel vom Jetzt.