Freitag, Dezember 21, 2012

Wieder


Das Geräusch eines Ruckelns und dann ein Stoß an meinen Oberschenkel und meine Hüfte weckte mich auf.  Eine Stimme, die irgendwie unfreundlich wirkte, redete auf mich ein. Licht. Offenbar Neonlicht. Seufzen. Geräusche von Kindern. Langsam lösten sich die Fäden des Schlafes und der Traumlosigkeit in meinem Kopf, meinem Gehirn, meinen Sinnen. Jemand stand vor mir. Über mich gebeugt. Daneben zwei kleinere Gestalten. Das Bild wurde schärfer.
Meine Familie. Ich letztlich doch gelandet vor meiner versperrten Wohnungstür. Hatte ich das alles nur geträumt? An mir keine Spuren von Gewalt, hoffnungsloser Suche, Isis und was auch immer.
"Schaut euch euren Vater an, Kinder..." hörte ich meine Frau. O mein Gott, sie hatte Recht. Welches Kind wollte seinen Vater vor der Wohnungstür abgelumpt und heruntergekommen kauern sehen. Als erstes Bild der Wirklichkeit in der Früh. "Wo warst du, bitte?" "Mit Kollegen war trinken, ich..." "Spar´s dir..." sagte sie. "Ich muss die Kinder in den Kindergarten bringen." Die drei gingen. Die Kinder blickten mich mit offenen, verwunderten, aber wenigstens wertfreien Augen an. Ich dachte mir noch - wie hübsch meine Frau eigentlich aussah. Dann verschwanden die Drei, ohne mich anzusehen im Lift. Die Tür zu meiner Wohnung stand offen. Nach einigen Sekunden des Geradeausstarrens ging ich hinein. Kam ich nach Hause. Hatte ich den Irrsinn der letzten Nacht nur geträumt? In meiner Jackentasche ergriff ich aber einen Zettel - darauf die leicht verwischten Zahlen....Ellas Telefonnummer...

Dienstag, Dezember 18, 2012

Darum


Ihre Wohnung war gleich in der Nähe. Man musste über eine breite, alte Wendeltreppe einige Stockwerke gehen. Das Haus war offenbar schon in die Jahre gekommen, ein mattes Licht strahlte von den alten Leuchtkörpern. Der Verputz an den Wänden bröckelte, die Fenster mancher Wohnungen in den Gängen waren zersprungen, die Wohungstüren alt, morsch. Isis - ich konnte nicht aufhören, mich über den Namen zu wundern - schritt immer gleich zwei Stufen nehmend vor mir. Sie dreht sich nicht um und sagte nichts. Offenbar keine besondere Angelegenheit einen fremden Menschen mit nach Hause zu nehmen. Dazwischen musste ich an zuhause denken. Ich sollte nach Hause. Aber konnte es nicht. Als Gefangener der Situation lehnte ich mich innerlich zurück und beobachtete einfach nur. Vor der Tür ihrer Wohnung angekommen schauten wir uns an - eigentlich zum ersten Mal, denn in dem Schneegestöber draußen konnte man von Schauen nicht wirklich sprechen. Sie grinste selbstverständlich. Den Schal hatte sie sich mittlerweile vom Gesicht gezogen. Ihr Gesicht glänzte leicht vom langsam schmelzenden Schnee, einzelne Schneeflocken hielten sich aber wacker auf ihrer Haube.
"So. Da sind wir."
Ich konnte nur dümmlich lächeln und nickte. Offenbar waren keine Spuren meiner Flucht aus dem Bordell zu sehen - sonst hätte sie sicher etwas gesagt.
Sie sperrte auf - die erste Tür seit langem, die sich problemlos öffnen lies.
Drinnen: eine einfach eingerichtete Wohnung. Platz um Schuhe abzustellen, Jacken auf ein Sofa zu werfen, ein Vorzimmer, eine kleine Küche, ein Wohnzimmer, mit einem improvisiertem Bett, also eine Matratze auf einer Holzpalette. Der Geruch von Heu lag in der Luft. Ein Spiegel. Tatsächlich. Ich sah völlig normal aus. Keine Spur einer gewalttätigen Auseinandersetzung. Hatte ich alles nur geträumt?
"Bist eh schön..." sagte sie, ging in die Küche. Meine Blicke folgten ihr. Ihre Hüften schwangen bei jedem Schritt mit. Sie war schlank, wirkte beweglich. Hinter ihrem Wollpullover zeichneten sich ihre Brüste ab, im Profil sah ich ein hübsches, kompaktes Gesicht. Eine attraktive Frau, dachte ich mir. Ich ging ins Wohnzimmer weiter und setzte mich auf einen Stuhl. Auf einem Wäschetrockner hing einiges an Gewand. Auf einem kleinen Schreibtisch stand ein Laptop.
Ich hörte ihre Schritte, sie stellte mir eine Dose Bier hin.
"Ich nehme an, das kannst du jetzt brauchen..." sagte sie und sah mich dabei fragend an. Ihre Lippen hatte sie dabei zu einer Art Kussmund geformt.
"Danke. Absolut."
Ich öffnete die Dose, nahm einen Schluck.
"Woher kommst du?" wollte sie wissen und setzte sich auf das Bett.
"Oh. Ein langer Abend. War was trinken. Offenbar hab ich mich in dem Schnee verlaufen. Und du?"
"War was trinken mit einem Typen. Wollte aber lieber alleine nach Hause gehen."
"Naja. Daraus ist jetzt aber nichts geworden."
"Stimmt."
Schweigen. 
"Und jetzt?"
Ich schaute sie nochmal an. Ihre vollen Lippen waren geschlossen, sie überlegte offenbar. Das Licht fiel vom Gang draußen herein. In dem Halbdunkel war sie nur teilweise zu erkennen. Eine seltsame Situation, die ihr offenbar nicht unangenehm war. Natürlich dachte ich an Sex. Zumindest an die Möglichkeit dazu. Sie vielleicht nicht. Vielleicht aber auch schon.
"Nichts." sagte sie.
Ich erklärte ihr, wo ich eigentlich wohnte und fragte, ob sie die Gasse kennt. Sie nickte. Aber konnte nicht genau sagen, wo dieses Zuhause war.
Sie arbeitete in einem Buchladen erzählte sie. Hatte mit Sprache zu tun, gelegentlich schreiben. Ich erzählte ihr von meiner Arbeit. Dabei ging es vor allem darum, anderen Leuten zu sagen, was sie tun sollten. Konkret: unterschiedliche Ereignisse, die sich in der Welt ereigneten, zu filmen, mit Menschen zu sprechen und das dann in kurze Berichte zu fassen. Das war größtenteils meine Arbeit. Nebenbei musste ich überblicken, was in der Welt eben alles geschah und dann eine Auswahl treffen - welchen Teil der Realität bilden wir ab, welchen nicht. Und dann musste ich mir diese Berichte ansehen und sagen, was gut war und was unter Umständen besser gemacht werden sollte. So verbrachte ich meine Tage. Meine Familie erwähnte ich jetzt mal nicht.
Sie schien das interessant zu finden. Das war ich nicht gewohnt. Ich kannte kaum Menschen, die das, was ich tat, interessant finden, mich eingeschlossen.
Bald war einiges an Zeit vergangen. Isis wurde müde. Ich war es auch.
"Komm her..." sagte sie.
Ich gehorchte, setzte mich neben sie. Sie lächelte mich an. Sie umarmte mich. Ich sie. Ihr weicher Körper schmiegte sich an mich. Mein Herz begann zu klopfen.
"Aber grapsch mich nicht an. Ja?"
Dann löste sie sich von der Umarmung.
"Man soll die Dinge nicht zu schnell angehen." erklärte sie mir. Wenn du willst leg dich zu mir. Ich schlafe jetzt. Dann drehte sie sich um.
Ich überlegte. Was tun? Sie schien sehr rasch eingeschlafen zu sein.
Ich schrieb ihr meine Telefonnummer auf einen Zettel und schrieb ein "Dankeschön" dazu.
Dann verlies ich die Wohnung. Als ich aus dem Haus trat, war der Schneesturm vorbei. Aber es war noch immer tiefste, zeitlose Nacht.

Freitag, Dezember 14, 2012

Isis



Die junge Frau namens Isis reichte mir ihr Telefon. Ich schüttelde dankend den Kopf. Im Schneefall war es aber nicht möglich, eine Nummer einzutippen. Ich stellte mich in den Schutz eines Mauervorsprungs bei einem Hauseingang, suchte hektisch die Telefonnummer von Ella in meiner Hosentasche. Fand ihn nicht. Dann in der Jackentasche, Hemdtasche.
Isis schaute mich immer skeptischer an. Mir war das Ganze natürlich peinlich. "Hab´s gleich." erklärte ich. Sie nickte kurz und versuchte gar nicht erst groß zu verbergen, dass sie meinen Anblick belustigend fand. Ich glaubte, zumindest einen Hauch von Sympathie in ihren Augen zu erkennen.
Endlich ertastete ich den Zettel in der Innentasche meiner Jacke zwischen den Krümeln von Zigaretten, die bei meinem waghalsigen Sprung durch das Fenster - war wirklich ich das, der das getan hat? - offenbar zerquetscht worden waren. Ich zog den Zettel heraus. Entzifferte die einzelnen Schriftzeichen aus Ellas Hand. Shit. Einige Zahlen waren verwischt und nicht mehr lesbar. Ich starrte auf den Zettel, wollte es nicht glauben.
"Gibts ein Problem?" fragte Isis.
"Ich kann die Nummer nicht lesen...das heisst, ich kann schon lesen. Die Nummer ist aber verwischt..."
"Oh...."
"Fuck."
Schweigen.
"Ist etwas kalt hier. Ich muss mal weiter." sagte sie.
"Ja. Ja. Schon gut."
"Also, weiß nicht, was man da sagt...Machs gut?"
"Ja. Sowas in die Richtung, glaube ich. Danke für die Hilfe."
Ich reichte ihr das Handy zurück.
Sie ging. Ich schaute ihr nach in den Schnee. Kaum hatte das Weiß sie verschluckt, hörte ich ihre Stimme nocheinmal.
"Sag - magst du mitkommen? Kannst dich bei mir aufwärmen. Hab eine Ecke, da ist Platz für...so...Spinner...".
PotzBlitz! Damit hatte ich jetzt aber nicht gerechnet. 
Genaugenommen war es ein Unsinn auf das Angebot einzusteigen, weil jede Entscheidung, die ich an diesem Tag getroffen hatte, hat sich bislang als äußerst fatal erwiesen. Andererseits - hier im Nichts dieser immer unheimlicheren Stadt und in der Kälte durch die Gegend laufen, ohne zu wissen, woher und wohin, war auch nicht sinnvoll. Zudem war es mittlerweile wirklich bitterkalt. Und diese Frau wirkte ja nicht unsympathisch oder gefährlich. Vielleicht war es besser mitzugehen. Möglicherweise würden außerdem die seltsamen Zeitgneossen aus dem Lokal doch nach mir suchen - oder zumindest so unerwartet auftauchen, wie zuvor. Rasch wurde mir klar - ich hatte eigentlich keine Wahl. Ich musste das Angebot annehmen.
"Hey - Gern!" sagte ich. Und hoffte dabei, dass in keinster Weise zu hören war, in was für einer Verfassung ich gerade war.

Donnerstag, Dezember 13, 2012

Weiter



Das Schneegestöber wurde immer dichter. Die Flocken trieben hektisch vor mir her. Ich musste die Augen zusammenkneifen, um etwas zu sehen. Ganz gut, dachte ich mir. So wurden meine Fußsspuren verdeckt. Nach einiger Zeit fühlte ich mich etwas sicherer. Noch war es nicht möglich, zu dem eben Geschehenen einen klaren Gedanken zu fassen. Jedenfalls hatte dieser Tag, seitdem ich auf Ella gestoßen war, eine durchaus eigenartige Entwicklung genommen. Wie sollte ich das alles erklären? Und vor allem wem? Beim Versuch, die Ereignisse in einen logischen Zusammenhang zu setzen, wurde klar, dass es keine Logik gab. Noch nicht.
Bald stellte ich zudem fest, dass ich mich in den vielen Gassen des Viertels verlaufen hatte. Die Häuser und Plätze kamen mir zwar bekannt vor, aber ich fand keine Strasse, bei der ich wusste, wo sie mich hinführen würde. Ich konnte auch nicht abschätzen, wie spät es jetzt war. Es war nicht stockfinster, aber auch nicht wirklich hell. Der Himmel war durch das Schneetreiben nicht zu sehen. Das Licht konnte auch von der Strassenbeleuchtung kommen.
Mein Körper war soweit wenigstens in Ordnung, stellte ich überrascht fest. Das Handgelenk, das bei der verschlossenen Tür in dem Bordell geknackst hatte, schmerzte nicht und war voll bewegungsfähig. Und die Taubheit von dem Schlag in mein Gesicht machte langsam der Wahrnehmung von Kälte und Schnee Platz. Um sicher zu gehen, dass auch in meinem Gesicht und an meiner Kleidung keine Spuren dieser denkwürdigen Nacht hafteten, würde ich aber einen Spiegel brauchen.
Eventuell würde ich dann sogar nach hause gehen können, vor der Wohnungstür schlafen und am nächsten Tag reumütig eine Geschichte von einer spontanen Zechtour mit Arbeitskollegen erzählen. Dann in der Arbeit krank melden, schlafen gehen, aufwachen, Ellas Nummer wegschmeißen, die ganze Sache vergessen und ganz normal weiterleben. In einer Bar ein Bier trinken, auf einen Fernseher starren, einen Urlaub buchen, Steuern zahlen, Weihnachtsgeschenke einkaufen, Hobbys nachgehen, auf ein Sparbuch Geld zur Seite legen. Das übliche Programm.
Jetzt musste ich nur noch den Weg nach Hause finden.
Ich hatte mich aber verlaufen.
Ich kannte die Strassennamen nicht. Ich kannte die Häuser nicht. Kein Taxi weit und breit. Keine Menschenseele. Kein Licht hinter den Fenstern.
Ich ging weiter.
Plötzlich erkannte ich Reste von Spuren im Schnee. Das Profil von Winterschuhen. Keine allzugroße Schuhgröße. Ich folgte der Spur. Immer schneller. Mit großen und immer größeren Schritten. 
Plötzlich eine Gestalt vor mir. Eine Frau. Nicht allzu groß gewachsen. Gut eingepackt in eine Winterjacke, die bis über die Hüften reichte und mit einer dicken Fellmütze am Kopf. Die Schultern hochgezogen zum Schutz vor dem Wind. Ich setzte an: "Entschuldigung..." Sie hörte nicht. Etwas lauter: "Entschuldigung!" Die Frau drehte sich überrascht um. Ein unsicherer Ausdruck stand in ihrem Gesicht. Sie hatte dunkle Augen. Ein Schal bedeckte das Gesicht. Einige, lange dunkle Haare wehten unter der Mütze hervor. War ich ein Irrer? Ich hob beschwichtigend meine Hände. "Hallo...entschuldige...äh...ich suche die nächste U-Bahnstation..." Die Frau zog skeptisch die Augenbrauen hoch. Es war offensichtlich, dass sie mich so schnell wie möglich loswerden wollte. Was ich ihr auch nicht verübeln konnte. "Keine Ahnung." sagte sie und: "Vielleicht in die Richtung..." zeigte gerade aus weiter und wollte weiter gehen.
"Ich hab mich ein bisschen verlaufen in dem Wetter." erklärte ich.
"Blöd." sagte sie.
Etwas an ihr kam mir vertraut vor.
"Wie heisst du?" wollte ich wissen. Lange Pause.
"Isis."
Komischer Name dachte ich mir. Ich sagte ihr meinen Namen.
Dann schaute sie mich lange an - gab mir zu verstehen, dass ihr nicht ganz klar war, was ich von ihr wollte und dass sie gerne weitergehen würde.
Ich dachte mir: Sollte ich Ella anrufen? Vielleicht könnte ich das Telefon der Frau benützen.
"Hast du ein Telefon, das ich benützen darf?" fragte ich.
Verwundert sagte sie ja. Warum sie das tat - ich weiß es nicht.

Montag, Dezember 10, 2012

Immer



Ich rannte wie ein Besessener aus dem Lokal. Richtigerweise muss ich sagen - ich wollte hinausrennen. Leider war die Tür verriegelt. Mit voller Wucht prallte ich gegen das abgedunkelte Glas der Türscheibe. Die Tür ruckelte nicht einmal. Irgendetwas knackste im Bereich meines Handgelenks. Ich bemerkte es vorerst ohne Schmerz. Eine Mischung aus Peinlichkeitsgefühlen und dann rasch ausufernder Panik nahm meinen Körper in Besitz. Die paar Nutten im Lokal schauten etwas entgeistert zu mir herüber. Ein paar saßen nebeneinander auf einem Sofa, nippten an ihren Sektgläsern. Ihre Unterwäsche leuchtete blauweiß im Neonlicht. Das Weiß ihrer Augen brannte sich in mir ein. Mir schien, sie grinsten. Oder leuchteten bloß ihre Gesichter so gespentisch. Ich warf einen Blick zu Veronika. Sie blickte ebenfalls ihre Stirn runzelnd in meine Richtung. Eine ruhige, schmale Rauchsäule stieg vom Aschenbecher empor, in dem meine Zigarette noch gloste, als wäre nichts geschehen. Die zwei Typen in der Ecke waren nicht zu erkennen.
Hinter der Theke bewegte sich ein Schatten am Tresen vorbei. Der Barkeeper, Aufpasser, Kassier und jetzt Scharfrichter über mein unwürdiges Leben. Ein breitschultriger, glatzköpfiger Typ in einem weißen Hemd ging ruhig zu Veronika. Sie flüsterten etwas. Blickten zu mir hinüber. Dann redete er kurz mit den beiden Typen in der Ecke. Der Mann war seelenruhig. Kein Wunder. Ich war gefangen. In einem Bordell. Ohne Sex gehabt zu haben. Er winkte mich zu sich. Ich warf noch einen Blick auf die Tür - aber es gab keine Türklinke und keinen Türöffner. Nur das abgedunkelte Glas. Draußen ein Taxi, das im mittlerweile recht dichten Schneefall ganz langsam vorbeifuhr. Niemand wusste wo ich war, wer ich war, warum ich hier bin, ich könnte jetzt verschwinden und es würde keinen Menschen geben, der je davon erfahren würde. Ich hatte Angst.
Der Barkeeper kam ganz langsam auf mich zu. Er sprach in starkem Dialekt. "Die Zwei wollen mit dir sprechen." "Aber ich würde jetzt ganz gerne gehen." antwortete ich. ""Das kannst du dann vielleicht nachher machen. Jetzt redest du mit den Beiden." In der dunklen Ecke stieg Zigarettenqualm auf. Es schien blau zu leuchten. Wie ein Sternentor kam mir diese Dunkelheit vor. Als gäbe es keine Wiederkehr von dem, was dort auf mich wartete.
Er baute sich vor mir auf. Seine Körpergröße übertraf meine um einen halben Kopf. Seine Oberarme waren in etwa so breit wie meine Brust kam mir vor. Aus seinen Augen sprach eine Fähigkeit zu Brutalität, die ich mir nicht einmal vorstellen konnte. Er starrte mich an. Jeder Funken Wille schien aus mir zu weichen.
Fast.
Wäre da nicht die Angst.
Die mich eine möglicherweise folgenschwere Entscheidung fällen ließ.
In sprang dem Typen mit einem Satz zwischen seine Arme vors Gesicht und schob meinen Handballen mit gestreckten Armen in sein Kinn. Ehe er ausweichen konnte, klappte sein Kopf schon zurück und er wich nach hinten. Etwas schien nachzugeben. Aber nicht ganz. Ich Idiot. Natürlich reichte meine Kraft nicht aus, um ihn wirklich niederzuschlagen. Er ergriff meinen Arm und ich stürzte mit ihm zu Boden. Es gelang mir sogar, mit dem Schienbein in seine Kniekehle zu treten. Der Griff lockerte sich nicht. Ich erinnerte mich - es gab ein paar Nerven  am Oberarm, man musste sie nur gut genug erwischen. Schnell genug. Hingelangen. Der Typ stöhnte. Ich spürte nichts mehr. Dann  versetzte er mir mit seiner Faust einen Vollteffer ins Gesicht. Ich verlor das Bewusstsein.
Beinahe vollständig.
Fast.
Wäre da nicht die Angst.
Zwei dunkle Körper kamen auf mich zu. Weit weg hörte ich die Mädchen kreischen. Ich befreite mich irgendwie aus der Umklammerung. Ich konnte die Tür sehen. Daneben Fensterscheiben. Von Vorhängen verdeckt. Ich stürzte mich darauf zu. Einer der beiden Körper schnappte nach mir. Ein Stoff-Fetzen meiner Jacke blieb in seinen Händen. Ich machte einen weiteren Schritt. Einen Sprung. Ich musste an Ella denken. Und an mein anderes Leben. Ihre Nummer. Glas konnte brechen. Fensterscheiben auch. Ich stürzte am Boden. Kratzer am Gesicht. Scherben überall. Eine Blutspur im jungfräulichen Schnee. Wie Wolle eines Lamms auf dem grausamen Boden von Mutter Erde. Asphalt. Frischluft.
Ich landete am Rücken. Meine Lungen versagten ihren Dienst. Ich konnte nicht denken. Nur weiter, schrie es in mir. Weg. Meine Beine gehorchten langsam. Zu langsam. Schritt für Schritt. Wie Flucht während eines Alptraums. Man kommt nicht schnell genug weiter.
Aber letztenendes schien es doch zu reichen. Ich rannte. Als ich einen Blick zurückwarf, sah ich, dass mir niemand folgte. Vorerst.

Freitag, Dezember 07, 2012

Rätsel




Der kalte Wind blies mir über die Schulter. Gasthäuser, Bars und Tanzlokale - alles war bereits geschlossen. Als wäre ich aus den gewohnten Auffangnetz der Welt gerutscht, stapfte ich über den Asphalt über einen leeren Marktplatz, der von Wohnhäusern umgeben war. Soweit weg von allem, so schien es mir. Langsam fielen vereinzelte Schneeflocken vom Himmel. Mir wurde kalt. Wo sollte ich hin? Zudem schien mir, dass mir zwei männliche Gestalten folgten. Vielleicht Einbildung, vielleicht sicherer Instinkt. Um keine unnötige Aufmerksamkeit zu erregen, dreht ich mich nicht weiter um, sondern ging etwas rascher weiter. Ewig konnte ich mich hier jedenfalls nicht herumtreiben. Ein Gefühl von Angst und Unwohlsein stieg in mir hoch. 
Ich beschloß also, doch in ein Bordell zu gehen. Nicht um Sex zu haben. Aber um ein Bier zu trinken und Trost zu suchen zwischen den wohligen roten Samtsofas und den nackten Frauenkörpern. Keine Ahnung, welche Name über dem Eingang geschrieben war. Ich glaube, der Ort hieß "Dreams". Als ich hineintrat, hörte ich schon das verloren-vergnügte Lachen einiger Frauen und das gierige, professionelle Grinsen der Nutten, als sie mich sahen. Kaum saß ich an einem Tisch, schwang eine blonde, nur in Unterwäsche bekleidete Frau ihre Hüften zu mir, nahm Platz, lächelte mich breit an und drückte ihren warmen und zugegebenermaßen weichen, warmen Körper an meine unterkühlte Schulter. "Hallo Schatzi..." hauchte sie mir ins Ohr "...wie heisst du?" Ich sagte ihr meinen Namen, wir gaben uns die Hand. Ihr Name war Veronika, behauptete sie. Sie fragte, ob ich Lust hatte, mit ihr auf ein Zimmer zu gehen und dort schöne Sachen zu machen. Ich stellte aber klar, dass ich nur hier war, um etwas zu trinken. Sie nickte verstehend und fragte, ob ich sie auf einn Glas Sekt einladen würde. Den Billigen. Ich nickte. Gleichzeitig zündeten wir uns eine Zigarette an. Gerade wollte ich sie fragen, wo sie herkam, als zwei Männer das Lokal betraten. Es waren dieselben Typen, die ich vorher hinter mir gesehen hatte. Zumindest hatte ich den Verdacht. Sie würdigten mich eines kurzen Blickes und verschwanden dann in eine andere Ecke der Bar. Allerdings so, dass ich in ihrer Sichtweite war. Jetzt wurde mir richtig kalt. Am Ende war ich gerade dabei, in eine Mafia-Geschichte verwickelt zu werden. Hatte Ella etwas damit zu tun? Oder begann ich mich in eine Welt hineinzuverlaufen, die außer in meinem Kopf nirgendwo existierte. Ich rückte meine Jacke so zurecht, dass ich jederzeit aus dem Lokal rennen konnte. In mir begann es fieberhaft zu arbeiten. Während ich mit Veronika redete, spielte ich im Hinterkopf alle möglichen Szenarien durch, was nun alles geschehen konnte. Mist. Wo war Ella nur? Aber vielleicht verstand sie ja gar ncihts, von all dem, was gerade geschah.
Ich spürte die finsteren Blicke der zwei Männer aus der Dunkelheit zu mir hinüberstarren. Ich knallte der Nutte ausreichend Geld für die Getränke hin und rannte hastig aus dem Lokal.

Donnerstag, Dezember 06, 2012

Still


Daheim. Leise wollte ich den Schlüssel in das Türschloss schieben und öffnen. Offenbar schliefen zuhause schon alle. Alle - das waren meine Frau und meine zwei Töchter. Von der Strasse aus war zuvor zu sehen, dass im Wohnzimmer kein Licht mehr brannte. Das war ungewöhnlihch. Denn üblicherweise war auch in der Nacht eine kleine Lampe eingeschaltet. Aber heute, jetzt, in dieser Nacht, war alles finster. Nur die kahlen, schwarzen Äste der Bäume warfen ihre langen Schatten auf die Hausmauer - zerhackt allerdings, denn die Strassenbeleuchtung  war offenbar defekt und flackerte auf, dann wieder erlosch sie gänzlich. Zudem tanzten die Strassenleuchtkörper unruhig im Wind, der an den Stromleitungen zerrte. Das Zwitschern eines Vogels hallte durch die Strassen. Seltsam, zu so später Stunde.
Auch im Stiegenhaus flackerte die Beleuchtung. Möglichst leise näherte ich mich der Wohnungstür. Irgendwo weiter unten war ein Streit zu hören. Eine laute Frauenstimme in fremder Sprache. Dazwischen das aufgeregte Gemurmel eines Mannes.
Der Schlüssel ließ sich nicht in das Schloss drücken. Ich versuchte es mehrmals. Erfolglos. Dann ging auch noch das Licht aus. Vorsichtig und langsam schob ich Fuß vor Fuß vorwärts zum Lichtschalter. Doch das Licht ging auch nicht mehr an. Luft holen. Atmen. Lauschen. Kein Geräusch. Auch kein Streit mehr weiter unten.
Ich wagte es nicht, zuhause alle aufzuwecken. Ich hätte einen Erklärungsbedarf, wo ich den Abend verbracht hatte. Aber ohne plausible Geschichte. Dann vor den Kindern herumstammeln. Möglicherweise an der Wohnungsglocke solange zu läuten, bis das halbe Haus aufgewacht war. Nein. Manchmal ist Rückzug klüger. Planlos tastete ich mich weiter zum Lift. Wenigstens der funktionierte noch. Ich fuhr wieder ins Erdgeschoß und trat ins Freie. Genau jetzt vermisst mich niemand, dachte ich mir. Ich hatte noch Ellas Telefonnummer in der Jackentasche. Aber ich konnte sie unmöglich jetzt anrufen.
Die Strasse war menschenleer. Am anderen Ende der Strasse leuchtete eine rote Lichterkette. Das Surren einer Klimaanlage war bis zu mir zu hören. Der Eingang in ein Bordell. Dahinter die Nutten bei ihrer Nachtschicht, in kleinen Kammern an Männerkörpern arbeitend. Ich ging weiter, ließ mich vom Wind antreiben und wollte die Gelegenheit nutzen, um ein wenig über mich und Ella und den Rest meines Lebens nachzudenken. Und vielleicht doch, um herauszufinden, was es mit dieser Telefonnummer auf sich haben könnte.







Dienstag, Dezember 04, 2012

Danach



Wir saßen in einer verrauchten Bar. Die schwarzen, kurzen Haare von Ella zogen sich in kurzen Strichen über ihre Stirn. Sie hatte ein schmales Gesicht, spitze Nase. Dunkle Augen - deren Farbe sich immer ständig um leichte Nuancen zu verschieben schien. ich wagte es kaum, ihr länger in die Augen zu schauen. Zwischen uns ein Tisch. Rotwein. Das Licht kam direkt von oben. Ihre Wangen, ihre Oberlippen, die Stirn waren teils im Schatten, teils leuchtetet sie ganz hell wegen der Halogenlampen über uns. In der Mitte des Tisches unser beider Hände, die sich immer wieder berührten. Ich hörte mir selbst beim Reden zu und dachte mir ständig, es wäre besser ich würde aufhören zu reden, weil es völliger, inhaltsloser Unsinn war, der nur dazu diente, eine Brücke zu ihr zu schlagen. Am liebsten hätte ich sie sofort geküsst. Und ich denke, sie hätte mich auch gerne jetzt schon geküsst. Aber es war auch genußvoll, sich gegenseitig zappeln zu lassen.
Zwischen unser Gespräch schwappten immer wieder schrille Schallwellen kreischender Bluesgitarren und Klanginferno. 
Wenn sie lachte, lachte sie auf tausend Arten. Es war weich und liebevoll, verspielt und herausfordernd, abwesend und distanziert. Mein Körper fühlte sich an, wie ein Cocktail psychochemischer Flüssigkeiten und Wirbel. Eine fremde Energie bahnte sich ihren Weg, von meinem Bauch ausgehend, ausdehnend, wanderte zu den Füßen und in mein Herz, in die Arme und kribbelte über die Wirbelsäule in den Kopf, wo irgendwann alles zu kreisen begann und sich zu einem einzigen Strom aus Sein verformte.
"Was hat das alles für einen Sinn und was geschieht jetzt als nächstes?" fragte ich sie plötzlich. Nur langsam, zeitverzögert schienen meine Worte in ihrem Bewusstsein anzukommen. Ihr Gesicht blieb ruhig, schien nach innen gekehrt zu sein. Ich wartete auf eine Antwort, dann sagte sie: "Ich muss jetzt los. Aber wir werden bald auf eine Reise gehen. Es gibt einige, wichtige Dinge, die ich dir zeigen muss. Ich hoffe du kommst mit, mein Lieber." Sie schrieb ihre Telefonnummer auf einen Zettel und noch während ich den Zettel las, stand sie auf, gab mir einen Kuss auf die Wange und verlies das Lokal. Ihre Nummer war 0899-1332-8899-6-23. Eingerahmt von einem Herz. Was für eine seltsame Telefonnummer. Mir war nicht bekannt, dass es ein Mobilfunknetz mit so einer Vorwahl gab. Möglicherweise trieb sie einen Spass mit mir. Nun, ich weiß nicht, vielleicht hätte ich mir wünschen sollen, sie trieb nur einen Spass. Es hätte vieles leichter gemacht. Ich überlegte kurz, wo ich ihre Nummer aufbewahren sollte - dann ging ich nach Hause. Es war spät. Spät nach Mitternacht. Daheim wartete jemand auf mich. Oder vielleicht auch nicht.

Freitag, November 30, 2012

Aufgetaucht



Ich ging mit Ella weiter. Ihre Nähe wirkte - fantastisch auf mich. Ich weiß nicht, wie es dazu kam. Alles war und ist nach wie vor schrecklich rätselhaft. Es war, als ob man einen Kopfhörer aufsetzt und der Sound trägt einen in eine andere Welt. Nur - es ist eben kein Kopfhörer und keine Musik, die alles verändert, sondern eben ein Mensch. Wie selbstverständlich verließen wir das Geschäft. Auf der Einkaufsstrasse der Lärm, die Menschen, die Überdosis an Reklamen und Sonderangeboten. Alles natürlich völlig unwichtig. Ich denke sogar, das, was wir redeten, war völlig unwichtig. Wir waren beisammen und miteinander und das war genug. Worte konnten angesichts dessen nur lächerlich wirken. Ich kam mir vor wie ein Uboot, dass nach langer, langer und gefährlicher Tauchfahrt innerhalb weniger Momente wieder aus den Tiefen des Meeres über die Wasseroberfläche aufstieg - oder aber ein Uboot, das nach langer Reise über dem Meeresspiegel endlich wieder hinabtauchte. Mit rasender Geschwindigkeit weit weg von dort, wo es zuvor gewesen ist. In eine gewisse Form von Licht, aber auch in eine gewisse Form von endgültiger Dunkelheit. Ich weiß bis heute nicht, ob sie ähnliche Dinge dachte, wie ich. Oder ob sie heute ähnlich darüber denkt, wie ich. Ich kann sie auch nicht fragen und ich versuche anzuerkennen, dass man nicht auf alle Dinge im Leben Antworten erhält.

Nach längerem Hin und her hörten wir auf zu sprechen und trotteten vor uns hin. Noch war unklar, welche weitere Richtung wir einschlagen würden. Ich wollte sie nach hause begleiten, aber die Richtung, die sie einschlug führte woanders hin. Nicht in Richtung ihrer Wohnung nahe der alten Kathedrale. Wir gingen einfach einmal weiter. Irgendwann wagte ich es, ihre Hand zu nehmen. Und sie ließ es geschehen.

Mittwoch, November 28, 2012

Rückkehr



Eines Tages war Ella wieder da. Schrecklich, oder nicht - wie soll  ich es benennen? Ich erkannte sie zunächst gar nicht. Sie hatte eine ganz andere Haarfarbe als damals. Auch ihr Gesicht schien verändert. Ihre Augenfarbe, das wurde mir erst jetzt klar, war unter Tags offenbar eine andere, als nächtens. Nur wegen ihrer Stimme erkannte ich sie sofort wieder, darin war so eine Art zweiter, heller Klang, eine Stimme in der Stimme und etwas, das mein Innerstes zum Schwingen brachte. Gleich dämmerte es mir, dass ich auf jemanden gestoßen war, den ich vielleicht schon seit längster Zeit kannte. Schon länger, als ich mir vorzustellen vermochte.
Als wir wieder aufeinandertrafen bemerkte ich zunächst nichts Besonderes. Es war so wie, nun, ich drücke es mal so aus: Manchmal durchschreitete man gewisse Türen und betritt neue Räume, ohne dass man es gleich bemerkt. Hat nicht Ella das schon damals zu mir gesagt? Vor der Kathedrale. Oder hab ich mir das gedacht, nachdem ich in einer stürmischen Winternacht durch die leeren, kalten Strassen und Betonwüsten der Stadt gelaufen bin? Da war doch - ich erinnere mich - da ist eine Zeitung vom Wind über die Strasse geschubst worden. Und mein Blick fiel auf die Titelseite. Doch die Zeitung gab es schon lange nicht mehr. Wurde eingestellt, weil wer wollte schon lesen? Und das Datum...irgendein Tag vor Jahren. Oder ein Tag in der Zukunft?
Nun. Ella war wieder da. Sie war Vergangenheit. Und jetzt, plötzlich war sie wieder Gegenwart. Dabei war sie nie Vergangenheit. Eher eine Art ständige, zweite Gegenwart. Die immer auch geschieht - sozusagen neben der üblichen Gegenwart.
Sie stand neben mir und plauderte einfach so drauflos. Als hätten wir uns erst vor ein paar Stunden zum letzten Mal gesehen. Es war völlig banal eigentlich. Vor dem Gemüseregal in einem Supermarkt reihten sich perfekt geformte Gurken, Karotten, Zucchini aneinander. Und sie stellte sich neben mich und hielt mir einen Vortrag über Form und Unform von den Produkten von Mutter Erde. Ich war erstaunt, dankbar und ein bisschen verängstigt. Denn ich wusste nicht, wohin dieses neue Abenteuer nun führen würde...

Montag, November 26, 2012

Reise rückwärts



Dein Weg
durch die alten Mauern,
in denen die Geister alter Zeiten wohnen.

Schreckensreiches Leben,
ohne jemals Innezuhalten. 

Reise rückwärts 
durch ein Flammenmeer,
Träume großer Schlachten,
der Untergang eines Heldenheers.

Träume deines Lebens
Splitter von Geschichten
Alptraumphantasien.

Stimmen und Gottesflüstern,
Schriftsätze von Königreichen, Fürstentümern.
Verblasste Gesichter 
deiner eigenen Saat.

Namen ganz bedeutungslos
Reise rückwärts durch ein Trümmerfeld.
Und irgendwann das Ende
deiner Welt.

Donnerstag, November 22, 2012

Herzstillstand


Mein Herz steht still,
doch alles schreitet weiter.

Mein Geist hält die Welt an,
und alles gerät in Bewegung.

Reise durch mein Leben
Jeder Tag
ein Lichtjahr.

Reise in atemberaubenderUnendlichkeit
ohne Anfang und Ende
nach vor und zurück.

Immer wieder beginne ich am
Anfang und schreite weiter.
Immer wieder schreite ich weiter
und komme doch nur an den Anfang.

Wahrheit

Was ist eigentlich? frage ich mich täglich.

Die Welt scheint mir eine Mandarine zu sein.
Zunächst ist sie ein geschlossenes Ganzes, vielversprechend, prall,
orange leuchtend.

Um an ihre Frucht zu gelangen, um sie genießen zu können, schäle ich sie.
Dahinter verbergen sich die saftigen, triefenden Mandarinen-Spalten.
Sie schmecken herrlich.
Aber was steckt dahinter? Was ist das Geheimnis der Frucht? Wieso ist sie so wunderbar?

Die Schale liegt vor mir, ein paar Tropfen vom Mandarinensaft.
Die Spalten, die ich noch nicht gegessen habe, ebenfalls.
Jede Spalte eine Welt für sich - ein eigenes Rätsel. Wie eben die tausend Fragen, die ich mit mir herumtrage.

Also nehme ich eine Spalte und blicke hinein - auf der Suche nach Erklärung. Ich schneide sie auseinander. Darin: die Fasern des Fruchtfleisches, rosa, saftig. Kerne.
Wieder eine Welt für sich.

Was steckt dahinter?

Ich zerlege den Kern, die Fasern des Fruchtfleisches.
Irgendwann habe ich schon ganz triefende Hände, die Einzelteile der
Mandarinenkerne vor mir. Mandarinenstücke.

Doch: Je mehr ich suche, desto weniger hält man in der Hand.
Was bleibt über? Irgendwann nichts.



Dienstag, November 20, 2012


Montag, November 19, 2012

Atropa Belladonna

Ich kannte einst eine Tollkirsche
noch gut erinnere ich mich,
wie ich mich neugierig an sie heranpirschte.

Ihre dunkle Frucht glänzte schwarz und matt
im Sonnenlicht, wo ganz allein ich schlich,
leuchtete sie vor sich hin am Rande einer mir damals unbekannten Stadt.

Ich weiß nicht, hat sie mich zuvor gesehen?
Und mich angelockt mit Zaubersprüchen
oder haben gar launige Geister mitgewerkt, ungehört in ihrem Flehen

Nach Liebesspass und Lebensschmerz
Lebensflüchen
brennender Unruhe im Herz?

Ist auch ganz egal, schon war es zu spät, schon war ich zu nah
und konnte nicht mehr fort
Bunt, wild, verrückt, die Dinge, die ich fortan sah.

Sie sprach in derart lieblichem Ton,
ich wurde liebgekost an diesem Zauberhort,
und der Rest der Welt klang bloß wie banaler Hohn.

Wie Wellen trieben wir dahin im endlosen Ozean
war ich dahingespült,
doch nirgendwo kam ich, so scheint es, jemals an.

Jede Berührung war ein tosender Sturm
so weich und unaufhaltsam und um nichts betrogen!
nur ineinandergewachsen wie ein lebendiger Tollkirschen-Turm!

Zurück, zurück aus diesem Hexenreigen
schon zerschmolzen, meine Beine wurzeln schon in fremden Wald
ich wurde selbst zu Tollkirsche, wer kann mir den Weg zurück nur zeigen?

Raschen Schrittes ging ich ehrlich bemüht davon,
doch das dämmerte mir bald:
mein Geist, die Brücke in den Rest der Welt, alles war entflohn.

So lachten wir alsbald entrückt und unbeschwert fürs Erste fröhlich weiter,
schimmerten gemeinsam in diffusem Glanz im Zauberhain
Existenz - sie schien besinnungslos, die Geister waren heiter.

Noch eines muss ich sagen, so kostbar war sie und schön anzusehn,
und ich wusste doch - ich kann sie auch verletzen.
Deswegen - bevor der irre Ritt zum Sturze führt, sollt´ ich lieber gehn.

Aus der verrückten Tollkirschenwelt, wo es mir ganz ehrlich gut gefällt,
zu entkommen ist jedoch nicht leicht, dazu braucht es schon
Entschlossenheit und Willenskraft - der Weg hinaus jedoch war schier verstellt.

Als dann aus fremdem Himmel Zornes-Blitze kamen, die Wiese war bereits entzunden,
waren wir beinah - ja, in echter Lebensgefahr! -
es kam die dunkle Angst hervor - Gruselgrauenschaudern - innerhalb weniger Sekunden.

Nun, das braucht´ es wohl - davon gesprungen und entbunden!
Waren wir innerhalb weniger Stunden.

Die Zauberwelt sie schlummert nun, das Tollkirschengetränk im Schrank,
denk ich dran zurück - es war wie wunderbar und herrlich giftig - jedenfalls nicht krank.

Ich pirschte eben durch den Wald
niemals war mir so heiß, und niemals ähnlich kalt.

Ich weiß nicht, wieviel Zeit vergangen,
Jahre, Tage, ohne Raum und Zeit das Tollkirschen-Verlangen!

Es war wunderschön und Tollkirschen sind gar herrlich anzuseh´n.
Seh ich eine wieder mal im Wald, ob töricht, oder irre,
Freunde! ich geh nicht weiter, bleib sicher wieder steh´n!

;-)
















Schicksalsknoten

Unsichtbare Linien ziehen sich
durch die ganze Welt
Bewusstseinsfäden
verbinden Menschen miteinander.

Wie Drähte aus Energie
funkeln die Gedanken
zwischen den Polen
von Menschen

Das eigentliche Geheimnis
hinter den Erscheinungen
der Materie die Kraft
die alles am Laufen hält.

Gedanken und Gefühle
denkt man
die sich steuern lassen
oder vergehen können.

Doch immer wieder
in der Nähe und der Entfernung
scheinen die Drähte aus Energie
zwischen Menschen,


die alles bestimmende Macht zu sein
Realer als die Gespräche, die man führt,
fühlbarer als die Dinge, die man berührt,
bedeutsamer, als die Dinge, die am Bildschirm dahinflimmern.

Schicksalsknoten. Lichtbänder.
Ihr Wollen bricht hervor in die Welt
des Seins - M/macht Schicksal.

Die inneren Bilder zu bestimmten Orten immer da.
Zeiten, Momente, Vergangenheit, Gegenwart
Die Bänder immer voller Energie.
Die Kommunikation immer im Gang.

Ohne Worte
Berührungen
und ohne Erwartungen.
Und doch voller Hoffnung.

Freitag, November 16, 2012


Fluss

Bedauern
Einsicht

Wechseln einander ab

Einsicht
Erkennen

Schubsen mich vorwärts

Erkennen
Wagen

zieht mich weiter

Wagen
Schweigen

zeichnet sich ab

Körper
Geist
Herz

werden eins.

Donnerstag, November 15, 2012

Manchmal
schaue ich zurück
und muss den Kopf schütteln

Über mich.
Wie ein Narr
torkle ich doch durchs Leben.

Renne hinter irgendetwas her
das vielleicht doch nichts zu tun hat
mit dem, was es zu sein scheint.

Erst später lichtet sich der
Nebel und die Einbildung
wird gelegentlich weniger.

Doch unerfreulich ebenso
das nicht Eingebildete.
Bleibt also

Die reine Freude am Moment.
Derer es soviele gibt.
routiniert, gekonnt, und doch vorgegaukelt.

Und dabei ist schon
der Stolperfaden gespannt
auf dass es später einmal

laut krachen möge,
wenn ich einst  zurück
und dann vielleicht nach vor schaue.

Mittwoch, November 14, 2012

Karma

Als rauschender Zug
reißt einen das Leben mit
und andere

Fieberhaftes Handeln
gegen den Sog des Universums
aus den Tiefen des Ich

Anhaften an der Welt
Festhalten an ihren Erscheinungen
Süchtig nach ihren Genüßen

Im Spiegel des Ichs
erkenne ich die Welt


Die Formen draußen bloß
berührbare Energie
und unfassbar doch

Wie ein Echo
aus anderen Leben
die Konturen der Gegenwart

Plötzlich befreit
und rückgeführt in

ins unermessliche Jetzt.

Dienstag, November 13, 2012

Werden Vergehen

Helles Licht
in Glanz empfängt
mich und die Welt
von Glück umschwelgt.
 
Dunkler Nächte Nebel uns umstellt
Sehnsucht Ängste Feuer und Flammen 
prägen diese Welt.


In Sonnenlicht und Stille
einst
die Erde uns empfängt.

Montag, November 12, 2012

Alles was
war
ist
wie es in der Erinnerung
wird.

Samstag, November 10, 2012

nachtfahrt

Rasante Reise
Reize
Strassenlaternen wischen über die Konturen von Gesichtern
Fetzen und dünne Striche
kahle Äste knorriger Bäume
Lautes Lachen
Lautlos hinter all dem Lärm

Bleiche Augen
Angstgeweitet
Schmal die Strasse
Funkengewitter
Leitplanken
verbrannter Gummi
Bremsen verschmort

Verdellte Strassenschilder

Der Wille der Strasse
übersetzt vom Willen des Geistes
die Armaturen torkeln durch das Dunkel
Links und rechts
hektisches auf der Bahn bleiben

weiß die langen Beine
am Nebensitz
Schwarz der Körper
Schwarz die Nacht
Unendlich das Verlangen

Nach Lebenslust.
Zwei Lichter nicht weit
Dahinter
kommen näher
Unaufhaltsam
der große Schatten am Wolkenhimmel
kein Schimmer vom Mond
kein Schimmer der Sonne

Bloß künstliches Licht
künstliches Licht
Dunkelheit
Licht
Dunkel

Schweigend
die Streifen auf der Strasse
Weiß
Asphalt
löchriges Netzwerk
Orientierung
auf der Strecke bleiben
auf der Bahn bleiben

Tanz der Gräser dazwischen
Zittrig die Hände
die Blicke
die Augen
die Berührungen
immerzu immer weiter immer tiefer
Ineinander verschlungen


Scheinwerfer weit hinten
Schweben durch das Nichts der Landschaft
Immerzu
Dazwischen kleine Abschnitte ganz hell
Schlafend
Nichtsahnend
Die Fahrer

In unseren Pupillen
spiegelt sich die Welt
Das viele Dunkel
Das viele Licht
zieht vorüber
verzogen
Leidenschaft
die Leiden schafft

Schweigsam die weiten Felder
links und rechts
die Hügel
das kalte Glitzern des Eises
ganz oben auf den Gipfeln
Jenseits von hier
ziehen Falken ihre Kreise

Die Lichter rücken in die Ferne
Immer weiter
Bloß Sterne
am Zelt des Himmels
in Unendlichkeit
Und Sonnen
und Lebenslust.

Donnerstag, November 08, 2012

Worte
sind Tore
durch die andere Welten
Zugang finden

Ins Jetzt
Energie und Geist
schrauben an der Realität
wie Ingeneure

die ein Projekt entwickeln.
Energieprojekt
Sein eigener Ingeneur sein.
Kraftwerk des Lebens.

Energie
die den Körper
in seine Schranken
verweist

Existenz
eine kleine Lichtinsel
im Schwarz des Kosmos

Der Körper
als Kanal
für die eine Kraft

Der Geist
arbeitet fieberhaft
an Lösungen

ehe die Fluten
des Schicksals
das Leben

entscheiden.
ganz klein
die Möglichkeiten

um den Kurs zu beeinflussen
die Worte geflüstert
bloß kurz

ein Moment
und es folgt die Zündung
beinahe irreal

und doch echter
als das plastische Leben
zu sein scheint.

Explosion der Gegenwart
Als Magier
ausgeliefert

mit der Aufhabe
die Aufgaben zu meistern
klein zu sein

 und Größe zu zeigen.


Gelegentlich verfällt
die Vernunft dem Glauben
alles zu wissen


und in Gefäße fassen zu können.

Doch ungewiß bleibt
wie lange die Gefäße
der Kraft standhalten

und ob sie standhalten sollen
und wie sich der losgetretene Wandel
meistern lässt.

Am Ende das Licht.






Donnerstag, Oktober 25, 2012

Wolken weit über allem
schwarzes haar reise verbotener früchte
augen ein meer in anderen welten
zwei schatten übereinander strahlend
die seele dahinter dadurch
der duft sinnlicher wälder
die gräser unberührt
ein reh springt zwischen lichtstreifen
gefühl von glück und seine empfindsame kostbarkeit
achtsam behutsam reizvoll



Ein paar kleine Waldfreunde wie die Begleiter eines schönen Lebensabschnitts tumelten sich am Boden und luden mich ein - meine Reise zu versüßen. Schwupp, sprachs. Sie schmeckten nach Waldboden und Fröhlichkeit. Kribbelnd und leichtfüßig wandelten sie durch meinen Körper und flüsterten mir ohne das Enge von Sprache zu brauchen immer zu zu. Gold waren sie gefärbt und trocken. Und sehr freundlich.



Sonntag, Oktober 21, 2012

bald

...gibt es hier einen neuen Text über die zuletzt geschehenen Dinge...oder hat es ihn schon immer gegeben? Oder gibt es diesen Text vielleicht gar nicht? Ist er bloß Einbildung. Entsteht er erst, in dem er gelesen wird? Oder ist die Idee schon immer in allem da und entrollt sich wie eine Schriftrolle - als logische Folge von Endlichkeit? Erschafft ihn der Leser bloß durch sein eigenes Jetzt? Es gibt diese Geschichte über zwei Lichtstrahlen unterschiedlicher Sonnen, die aus einem bislang unbekannten Grund aufeinander getroffen sind und so aus der ihnen eigentlich vorherbestimmten Bahn gehörig herausgeschleudert wurden. Durch das Aufeinandertreffen dieser beiden Lichtstrahlen sind zudem neue, bislang noch nicht gesehene Farben entstanden und viele Welten wurden im Weiteren geboren. Samenkörner längst vergessener Pflanzen, die seit tausenden Jahren in der Erde schlummerten, trieben wieder aus, wälzten sich angezogen von dem neuen Licht in den Himmel empor. Doch auch viel Dunkles scharte sich bald um dieses Neue, für das es bislang noch keinen Namen gibt. Mit eisernem Würgegriff umklammert es zuweilen alles, was wächst und wachsen will. Es sind die Zwänge des Lebens, der Materie, des Körpers und des Geistes, der noch zu sehr verhaftet ist im Angreifbaren - Zwänge die sich dem strahlenden Licht seltener Lichtstrahlen, die aus fernen Sonnensystemen und Galaxien stammen, entgegenstellen. Zwänge, die für vorübergehende Zeit erfolgreich scheinen und erst in den Bereichen, die jenseits unserer Konzepte von Raum und Zeit existieren, ihre Schwerkraft verlieren und erst dort aufhören, das Licht am Strahlen zu hindern. Licht bestimmt für andere Welten offenbar. Bloß ihr Leuchten strahlt mit jedem Tag auf die Erde herab, jenen oft erbarmungslosen Ort im Universum, in dem die nach Freiheit strebenden Seelen, verwandelt, verhext möchte man meinen in die Formen von Menschen, Tieren, Pflanzen, Geistern, Maschinen und Naturgewalten, umherwirbeln, Freud und Leid erfahren dürfen und müssen - stets aber gefesselt bleiben. Seelen, die eigentlich ein gewaltiges Feuer sind, das stets eingefangen werden will. Loderndes Feuer, das niemals endgültige Form haben kann, und doch immer wieder Form annehmen muss, verdammt ist dazu, Form anzunehmen. Die Lichtstrahlen, so wurde und wird bis heute oft erzählt, entfachten ein derartiges Feuer. Ungewollt. Und dieses Feuer spendete eine erfüllende Wärme in dem sonst kalten Universum. Doch Licht zieht weiter. Kann niemals verweilen. Die Wärme aber bleibt für ewig. Irgendwo und irgendwann laufen auch die Wege und Irrwege des Universums wieder zusammen. Irgendwo, jenseits der Grenzen unserer Idee von Raum und Zeit, geschieht alles in einem Moment. Gibt es kein Weiterziehen, weil alles ist da und nichts ist. Laufen alle Wege zusammen und begegnen sich nie, gibt es keine Vollendung und keine Trennung. Dort werden diese zwei Lichtstrahlen einer sein, der niemals getrennt war von den Sonnen, die ihn erschaffen haben und erst dort wieder einer sein kann, das volle Spektrum sonst auseinandergerissener Teile eines Ganzen ist - erst nach einer langen, rätselhaften Reise auf deren Fragen es keine Antworten gibt, und wo dennoch ständig gefragt werden muss. Wieder ein Rätsel, zum Rätseln gemacht.

Samstag, Oktober 20, 2012

Ein älterer Text für... ;-) Wellen branden an den Klippen die weiße Gischt zischelt wie Gesang Ich fühle das bittere Salz auf deinen Lippen und entlang der Boote hallt ein seltener Klang. Ein Wind aus Nord-Ost streicht dir durchs Haar deine dunklen Augen glitzern in grünem, dunklem Blau das Gräsermeer es wiegt und frägt, was da war, in Wäldern, grün und gelb, erwartet kühler Tau den Glanz der Sonne, der leicht uns erhebt aus den Schluchten der Seele, die noch schlummert, und unter ihr, ein fernes Grollen, es vor Freude bebt, und uns erwachen lässt aus tiefem Schlaf so unbekümmert.