Mittwoch, Mai 16, 2007

Ein Unbekannter

Ich begann unbehaglich zu lächeln. Mit offener Neugier konnte man sich manchmal aus solchen Situationen retten und der eine Zahn, den ich da zu Gesicht bekam von dem seltsamen Typen, der war sehr spitz. Zu spitz jedenfalls, um natürlich gewachsen zu sein.
Davonlaufen war jedenfalls keine Alternative. Dann würde mir der Unbekannte seine stahlscharfen Hauer von hinten in die Schultern reinjagen und das wollte ich auch nicht. Auch wenn der Schmerz gleich groß sein würde, egal ob ich von vorne oder hinten gebissen und vielleicht gefressen werde. Wenn mir so ein Tod überhaupt vorherbestimmt war.
"Was machst du da?" fragte der Unbekannte forsch.
"Ich bin am Heimweg." sagte ich höflich.
"Woher kommst du?"
"Ich habe eine Bekannte von mir hierhergebracht."
"Aber ist es nicht ein bisschen spät, um sich in so einer Gegend noch so spät rumzutreiben?"
"Wir wurden vom Orkan aufgehalten."
"Der Orkan. Ich verstehe."
"Und ich muss jetzt zurück zur Kathedrale."
"Achso?"
"Wer bist du eigentlich?" rutschte es plötzlich aus mir heraus.
Mein Gegenüber lachte, plötzlich sagte er mit einer leicht irren Stimme:
"Ich bin der Ich-weiß-nicht-wer...!"
Und plötzlich fingen die Augen von dem Unbekannten an zu leuchten. Oder es war, weil er den Kopf etwas neigte und so das Licht einer flackernden Strasselaterne auf einen Teil seines Gesichts fiel und es erhellte. Ich glaubte, tiefe Furchen darin zu erkennen, vielleicht waren es aber auch Formen, die die eigene Phantasie in das GEsicht eines Menschen zeichnen konnte, wenn es dunkel war und man besondere Angst hatte.
In seinem Blick lag jedenfalls ein ungewöhnliches, intensives Leuchten - ein bohrender Blick, der wie ein Laserstrahl mein Innerstes zu zerschneiden schien. Ein Blick, hinter dem aber auch kaum etwas zu finden war, das mir vertraut menschlich erschien.
"...aber vielleicht bin ich auch einfach nur...ein etwas anderer Mensch. Es ist nicht wichtig."
Es musterte mich eindringlich. Es schien mir, als würde er abwägen, ob er mich jetzt töten soll, oder nicht. Ich versuchte seinem Blick standzuhalten.
"Du solltest etwas vorsichtiger sein." sagte er dann.
"Nimm das mit." sagte er dann. Er hielt mir ein Paket hin. Es war ein Karton in ein unauffälliges ocker-farbenes Papier gewickelt. Das Paket hatte ein spürbares Gewicht, ohne dass sich darin etwas zu rühren schien.
"Lass es irgendwo liegen. Bis es jemand aufhebt und seinerseits mitnimmt. Vergewissere dich, dass es nicht dort liegenbleibt, wo du es liegenlässt. Erledige das Morgen. Wenn du das nicht tust, werde ich dich töten, wenn du das nächste Mal mit Ella unterwegs bist. Und sie werde ich vielleicht auch umbringen. Vielleicht werde ich es aber auch so einrichten, dass ihr beide einfach nie gewesen seid. Dann ist nachher niemand traurig, falls du verstehst, was ich meine."

Mittlerweile hatte sich wieder völlige Dunkelheit über das Gesicht des Unbekannten gesenkt. Ich konnte seine Blicke auf mir aber spüren. Es war als würde er einen nicht klar erkennbaren kalten Kern in mir deponieren.
Anders kann ich es nicht in Worte fassen. Ich verlies diesen Ort und wusste, dass soeben etwas geschehen war, was mein Leben weiterhin verändern würde. Ich hatte nun einen Punkt überschritten, über den ich nie wieder würde zurückgehen können. Allerdings war dieser Punkt schon viel früher von mir überschritten worden. Ich merkte es nur erst jetzt.

Keine Kommentare: